Eine neue Produkthaftungsrichtlinie als Reaktion auf die Digitalisierung

08.08.2024

Eine neue Produkthaftungsrichtlinie als Reaktion auf die Digitalisierung

von Dr. Christian Hess und Dr. Christian Piovano

Vor 39 Jahren wurde mit der Produkthaftungsrichtlinie 85/374/EWG der Grundstein für Produkthaftungsregelungen in der EU gelegt. Aktuell steht die EU erneut vor großen Herausforderungen: Digitalisierung, das Internet der Dinge und künstliche Intelligenz (KI) erforderten eine Aktualisierung der Produkthaftungsrichtlinie. Die neue Produkthaftungsrichtlinie aus 2024 (ProdHaft-RL n.F.) zielt darauf ab, diese modernen Risiken in den Griff zu bekommen und die sich daraus ergebenden Haftungslücken zu schließen, indem insbesondere die folgenden Maßnahmen umgesetzt wurden.

Erweiterung des Produktbegriffs

Die ProdHaft-RL n.F. erweitert zum einen den Produktbegriff erheblich. Künftig fallen ausdrücklich auch Software und digitale Bauunterlagen wie CAD-Dateien für den 3D-Druck unter das Produkthaftungsregime. Entwickler von Software, einschließlich KI- Systemen, gelten nun ausdrücklich als Hersteller. Neu in den Anwendungsbereich der ProdHaft-RL n.F. aufgenommen wurden zudem verbundene Dienste, die für die Funktionalität eines Produkts unerlässlich sind. Beispiele hierfür sind die kontinuierliche Bereitstellung von Verkehrsdaten in einem Navigationssystem oder ein Gesundheitsüberwachungsdienst, der die Sensoren eines physischen Produkts nutzt, um die körperliche Aktivität oder Gesundheitsparameter des Nutzers zu verfolgen.

Erweiterung des Schadensbegriffs – Datenverlust als Schaden

Eine wesentliche Neuerung im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Produkthaftung ist die Anerkennung des Datenverlusts als ersatzfähiger Schaden. Art. 6 Abs. 1 lit. c) ProdHaft-RL n.F. stellt klar, dass die Vernichtung oder unwiederbringliche Beschädigung von nicht beruflich genutzten Daten einen Schaden darstellt. Damit wird der zunehmenden Bedeutung digitaler Daten Rechnung getragen, die durch fehlerhafte Produkte beeinträchtigt werden können, wie z.B. Fotos oder Dokumente auf einem Smartphone. Unklar ist allerdings noch, wie der Wert privater Daten für die Schadensberechnung ermittelt werden soll. Im Übrigen ist die Entschädigung für Datenverluste von der Entschädigung für Datenschutzverletzungen nach der DSGVO zu unterscheiden.

Neue Beweisregeln

Angesichts der zunehmenden Komplexität digitaler und smarter Produkte entsteht eine immer größere Informationsasymmetrie zwischen Geschädigtem und Hersteller. Die ProdHaft-RL n.F. reagiert hierauf mit einer erheblichen Änderung der Beweislastverteilung und der Einführung eines neuen Instituts zur Offenlegung von Beweismitteln.

 

Offenlegung von Beweismitteln

Art. 9 ProdHaft-RL n.F. führt eine Verpflichtung der Wirtschaftsakteure zur Offenlegung relevanter Beweismittel ein, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Die Offenlegungspflicht umfasst technische Informationen über das Produkt und Erkenntnisse aus der Produktbeobachtung. Die Offenlegung muss jedoch notwendig und verhältnismäßig sein, wobei Geschäftsgeheimnisse zu wahren sind.

Beweislastverteilung
Art. 10 ProdHaft-RL n.F. stellt zwar den Grundsatz auf, dass der Kläger den Fehler des Produkts, den Schaden und den ursächlichen Zusammenhang beweisen muss. Allerdings enthält die ProdHaft-RL n.F. in Art. 10 Beweiserleichterungen, die faktisch zu einer Beweislastumkehr zugunsten des Anspruchstellers führen können. Diese Erleichterungen sollen vor allem dann greifen, wenn der Nachweis des Produktfehlers und/oder der Kausalität für den Kläger besonders schwierig ist.

 

 

 

 

Dr. Christian Piovano ist Syndikusrechtsanwalt bei der ZF Friedrichshafen AG und Of Counsel für Produkthaftung- und Produktsicherheitsrecht bei der Produktkanzlei.

 

Dr. Christian Hess ist Syndikusrechtsanwalt beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA) und betreut dort u.a. das Referat Produkthaftung.

 

Beide verfassten gemeinsam den Einführungsband „Das neue europäische Produkthaftungsrecht – EU-Produkthaftungsrichtlinie (ProdHaftRL)“, der im Juni im Nomos Verlag erschienen ist.