Klimaschutz als Herausforderung für die Demokratie

18.10.2024

Klimaschutz als Herausforderung für die Demokratie

Im Gespräch mit Rechtswissenschaftlerin Aenne Wulferding

Klimaschutz muss jetzt stattfinden. Der aktuelle Bericht des Weltklimarats (IPCC) führt uns eindrücklich vor Augen, dass eine erhebliche Verringerung von Treibhausgasemissionen erforderlich ist, um einen gefährlichen Temperaturanstieg bis 2100 abzuwenden. Trotzdem werden einige notwendige Klimaschutzmaßnahmen nicht beschlossen. Es fehlen die parlamentarischen Mehrheiten dafür. Die Bildung gegenwärtiger Mehrheiten – eine für die Demokratie wesensprägende Notwendigkeit – kann Entscheidungen für den Klimaschutz hinauszögern. Es drängt sich die Frage auf, ob und wie das Parlament als Gesetzgeber zu einem effektiven Klimaschutz verpflichtet werden kann.

Konflikt zwischen langfristigem Klimaschutz und kurzfristiger Demokratie

Der Klimawandel stellt die parlamentarische Demokratie vor eine Herausforderung. Notwendige Klimaschutzmaßnahmen können Verhaltensänderungen der Bürgerinnen und Bürger erforderlich machen. Die Betroffenen mögen das als Einschränkung ihrer gegenwärtigen Freiheit empfinden. Außerdem kosten einige Klimaschutzmaßnahmen den Staat und damit auch die Steuerzahler – jedenfalls vorübergehend – Geld. Zur Vermeidung solcher gegenwärtigen Belastungen drohen Klimaschutzmaßnahmen in die Zukunft aufgeschoben zu werden. Abgeordnete fürchten, bei zu scharfen Klimaschutzmaßnahmen die Zustimmung ihrer Wähler zu verlieren. Gesetze mit einschränkenden Klimaschutzmaßnahmen werden deshalb häufiger auf die Zeit nach der nächsten Wahl verlagert. Doch dann könnte es zu spät sein.

Konkrete Ziele für effektiven Klimaschutz

Gegen das Aufschieben notwendiger Klimaschutzmaßnahmen würden konkrete Klimaschutzziele helfen. Solche konkreten Klimaschutzziele stehen im deutschen Klimaschutzgesetz. Hier ist zunächst geregelt, dass Deutschland sich an das Temperaturziel des Pariser Klimaabkommens halten will. Der Temperaturanstieg soll auf deutlich unter 2 Grad Celsius, möglichst 1,5 Grad Celsius beschränkt werden. Im Klimaschutzgesetz ist weiter beschrieben, wie die deutsche Klimapolitik das Temperaturziel erreichen kann. Schrittweise soll der Ausstoß von Treibhausgasen verringert werden. Das Klimaschutzgesetz bestimmt Ziele für die Reduktion von Treibhausgasemissionen. Bis 2030 sollen die Treibhausgase um 65 % in Relation zur Emissionsmenge von 1990 sinken. Bis 2040 soll eine Verringerung um 88 % eintreten. Für 2045 strebt man Treibhausgasneutralität an. Schließlich schafft das Klimaschutzgesetz auch die Grundlage für die detaillierte Planung der einzelnen Klimaschutzmaßnahmen. Die Bundesregierung muss in regelmäßigen Abständen ein Klimaschutzprogramm vorlegen. Darin finden sich die geplanten konkreten Klimaschutzmaßnahmen. Das Klimaschutzgesetz enthält also – vom Temperaturziel bis zum Klimaschutzprogramm zunehmend konkretere – Zielvorgaben für den Klimaschutz.

Eigentlich keine Verpflichtung zur Erreichung der Klimaschutzziele

Zunächst klingt es vielversprechend, dass wir ein Klimaschutzgesetz mit konkreten Zielen haben. Allerdings zwingt allein das Klimaschutzgesetz nicht dazu, Gesetze zu erlassen, mit denen die Klimaschutzzielvorgaben tatsächlich erreicht werden. Grund dafür ist das Demokratieprinzip. In einer Demokratie muss sich in jeder Legislaturperiode eine neue Mehrheit finden, die Klimaschutzmaßnahmen beschließt. Die künftige Mehrheit zu bestimmten Entscheidungen zu verpflichten, ist nur im Ausnahmefall möglich. Die Ausnahmefälle sind ausschließlich im Verfassungsrecht geregelt. Nur das Verfassungsrecht kann vorschreiben, woran sich der Gesetzgeber in der Zukunft halten muss. Das Klimaschutzgesetz ist nicht Teil des Verfassungsrechts. Indem im Klimaschutzgesetz Klimaschutzziele festgelegt werden, kann die aktuelle Mehrheit das künftige Parlament eigentlich nicht zwingen, die dafür erforderlichen Gesetze zu beschließen. Falls in Zukunft keine Mehrheit für die Umsetzung der Klimaschutzziele stimmt, werden die früher festgelegten Ziele nicht eingehalten.

Bindung des Gesetzgebers an die selbst gesetzten Ziele

Es gibt somit konkrete Klimaschutzziele, die einen gefährlichen Temperaturanstieg verhindern würden. An die ist der Gesetzgeber wegen des Demokratieprinzips aber eigentlich nicht gebunden. Dadurch ist das Problem, jetzt notwendige Klimaschutzmaßnahmen in die Zukunft zu verschieben, nicht gelöst. Mit diesem Ergebnis wollte sich das Bundesverfassungsgericht 2021 bei seiner Entscheidung über das Klimaschutzgesetz nicht zufriedengeben. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht hergeleitet, dass das Temperaturziel von 1,5 Grad Celsius wie eine verfassungsrechtliche Norm wirkt. So ist auch der künftige Gesetzgeber verpflichtet, das Temperaturziel zu erreichen. Welche konkreten Klimaschutzmaßnahmen zur Einhaltung des Temperaturziels verwendet werden, überlässt das Bundesverfassungsgericht weiter dem künftigen Gesetzgeber. Dafür müssen sich politische Mehrheiten finden. Mit der Bindung des Gesetzgebers an das Temperaturziel hat das Bundesverfassungsgericht eine rechtliche Grundlage für effektiven Klimaschutz geschaffen. Das Demokratieprinzip steht der Lösung des Bundesverfassungsgerichts aber entgegen.

Problem mit dem Demokratieprinzip

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist für den Klimaschutz positiv. Trotzdem ist die Bindung des Gesetzgebers an das Klimaschutzgesetz keine tragfähige Lösung. Nach dem Demokratieprinzip ist eine Verpflichtung künftiger Gesetzgeber nur ausnahmsweise und nur in Form des Verfassungsrechts möglich. Sinn des Ausnahmecharakters einer Verpflichtung künftiger Gesetzgeber ist der Schutz der künftigen vor der gegenwärtigen Mehrheit. Wenn die gegenwärtige Mehrheit unbegrenzt Verpflichtungen für die Zukunft begründen könnte, verbliebe der künftigen Mehrheit kein Entscheidungsspielraum mehr. Der Wert künftiger Wahlen wäre in Frage gestellt. Dass nur ausnahmsweise eine Verpflichtung des künftigen Gesetzgebers möglich ist, dient somit der Erhaltung der Demokratie. Das Verfassungsrecht trägt dem Ausnahmecharakter einer Bindung für die Zukunft durch erhöhte Anforderungen an sein Zustandekommen Rechnung. Es muss mit einer qualifizierten Mehrheit von Zweidritteln beschlossen werden. Die Zustimmung einer so großen Mehrheit, zu der gewöhnlich auch die gegenwärtige Opposition, also die gegenwärtige Minderheit, zählen muss, rechtfertigt die Bindung des künftigen Gesetzgebers. Das Klimaschutzgesetz wurde nicht mit einer qualifizierten Mehrheit beschlossen. Hier sollte man keine Verpflichtung des künftigen Gesetzgebers annehmen, sondern die Umsetzung der Klimaschutzziele künftigen Mehrheiten überlassen. Die Bindung des Gesetzgebers an das Temperaturziel überzeugt folglich nicht. Auch steht das Demokratieprinzip der Herleitung einer weitergehenden Bindung an die konkreteren Treibhausgasreduktionsziele und an das Klimaschutzprogramm entgegen.

Lösung für den Konflikt zwischen effektivem Klimaschutz und Demokratieprinzip

Ergebnis ist also, dass die Bindung des Gesetzgebers an die Ziele des Klimaschutzgesetzes zwar förderlich für den Klimaschutz wäre, aber mit Blick auf das Demokratieprinzip nicht tragfähig ist. Das ist äußerst unbefriedigend. Welche Möglichkeiten gibt es sonst, den Gesetzgeber zum Erlass der notwendigen Klimaschutzmaßnahmen zu zwingen?

Zunächst ist an eine Verfassungsänderung zu denken. Die kann den Gesetzgeber an Klimaschutzziele binden, ohne in Konflikt mit dem Demokratieprinzip zu kommen. Dazu muss aber eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat dafür stimmen. Das bedeutet, eine Mehrheit aus Regierung und Opposition muss für eine künftige Selbstverpflichtung durch konkrete Klimaschutzziele stimmen. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen politischen Kompromisses ist gering.

Bei Fehlen einer rechtlichen Verpflichtung bleibt es in einer Demokratie notwendig, dass die Wähler sich für den Klimaschutz entscheiden. Sie müssen den Gesetzgeber bei jedem Wahlakt zum Erlass von Klimaschutzmaßnahmen anhalten, indem sie sich politisch dafür entscheiden. Damit sie beurteilen können, was für einen effektiven Klimaschutz notwendig ist und welches politische Programm dem genügt, schafft das Klimaschutzgesetz viele Informationsquellen. Man kann sich als Wähler an den Untersuchungen des deutschen Klimarates zu den erforderlichen Maßnahmen orientieren. Auch die Bundesregierung erstellt jährlich Berichte über den Stand der Klimaschutzmaßnahmen. Es fehlt dem Wähler nicht an einer Informationsgrundlage für seine Entscheidung. Wenn man in einer Demokratie effektiven Klimaschutz will, muss man ihn alle vier Jahre wählen.

Aenne Wulferding hat Rechtswissenschaft an der LMU München studiert und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin sowie Doktorandin (Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Schön) am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen. Ihr Promotionsvorhaben untersucht Inflation in der Ertragsteuer. Zudem forscht sie zu verfassungsrechtlichen Fragen des Klimawandels, insb. zur bundesverfassungsgerichtlichen Klimaschutzrechtsprechung.

Ziel der aktuellen Kampagne Quo vadis, Demokratie?, in deren Rahmen das Interview erscheint, ist es, dem wissenschaftlichen Diskurs und Austausch eine Plattform zu bieten. Dazu schaffen wir Raum für die kritische Auseinandersetzung mit aktuellen Fragen zur Zukunft unserer Demokratie. Neben aufschlussreichen Interviews und Diskussionen stellen wir auch aktuelle wissenschaftliche Beiträge frei zur Verfügung.