Der Fall Diarra: EuGH entscheidet über FIFA-Transferregeln

29.10.2024

Der Fall Diarra: EuGH entscheidet über FIFA-Transferregeln

Von Prof. Dr. Martin Maties

Der Fall Diarra (EuGH, Urt. v. 4.10.2024 – Rs C-650/22) schlägt aktuell hohe Wellen und viele stellen sich die Frage, ob Lassana Diarra rechtlich gesehen der neue Jean-Marc Bosman (EuGH Rs C-415/93, Slg 1995, I-4921) ist. Der Kläger wehrte sich gegen die Transferregeln der FIFA (RSTS) und behauptete, dass diese einen Transfer zum belgischen Erstligisten Sporting Charleroi verhindert hätten und begehrte hierfür Schadensersatz.

 

Aufgrund des Urteils des EuGH wird von vielen Stimmen in den Medien betont, dass das Transfersystem der FIFA revolutioniert werden müsse, da der EuGH ausführte, dass die fraglichen Bestimmungen im RSTS geeignet sind, die Freizügigkeit zu behindern. Aber dies ist nur die halbe Wahrheit. Anders als im Fall Bosman, wo es um zwingende Ablösesummen trotz eines auslaufenden Vertrags ging (und die Beschränkung der Anzahl der Ausländer im Kader), ging es im Fall Diarra darum, dass dieser nach einem Streit mit seinem Trainer bei Lokomotive Moskau die Teilnahme am Training verweigerte und zu Sporting Charleroi in der ersten belgischen Liga wechseln wollte. Es geht also um das sog. „Wegstreiken“ zu einem anderen Verein. Ähnliche Fälle finden sich in großer Zahl (Ousmane Dembélé, Heiko Herrlich, Demba Ba, Henrikh Mkhitaryan, Philippe Coutinho, Pierre-Emerick Aubameyang, Antoine Griezmann). Im Unterschied zu diesen Fällen kam es hier aber nicht zu einer Einigung mit dem aufnehmenden Verein, der die Ablösesumme zahlte. Aufgrund dessen war Diarra eine Saison ohne Einkommen.

Pacta sunt servanda

Rechtliche Ausgangslage ist bei einem Spielerwechsel zunächst der Grundsatz pacta sunt servanda. Das heißt, dass der Spieler die Vertragsbeziehung nicht einseitig beenden kann, wenn ihm kein Lösungsrecht zusteht. Da es sich bei den Verträgen zwischen Verein und Profi-Fußballern regelmäßig um befristete Arbeitsverträge handelt, sind diese normalerweise nicht ordentlich kündbar (im deutschen Recht § 15 Abs. 4 TzBfG). Soweit ersichtlich wird die generelle Möglichkeit des Gesetzgebers, die befristeten Verträge von der ordentlichen Kündbarkeit auszuschließen, nicht angegriffen. M.E. ist dies auch nicht zu beanstanden. Sollte ein Spieler sich vom Vertrag durch pflichtwidriges Verhalten lösen, so stellt dies eine Pflichtverletzung dar. Diese verpflichtet den Spieler zum Schadensersatz und stellt einen Grund für Abmahnung und außerordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber dar. Aufgrund der kurzen Pressemitteilung kann man nicht entnehmen, ob und inwieweit hier etwas entschieden ist. Klar machte der EuGH jedoch, dass ein Spieler nicht ohne einen „triftigen Grund“ den Vertrag auflösen könne.

Angemessenheit der Maßnahmen vs. Arbeitnehmerfreizügigkeit

Dies impliziert, dass das pflichtwidrige Verhalten eines Spielers zum Anknüpfungspunkt für passende Rechtsfolgen gemacht werden kann. Allerdings führte der EuGH (zu Recht) aus, dass die Maßnahmen, die den Spieler davon abhalten sollen, so zu agieren, erforderlich (und angemessen) sein müssen, da der Spieler sonst über Gebühr in seiner Arbeitnehmerfreizügigkeit eingeschränkt ist. Als Folge entsprechender Pflichtverletzungen ist nach den RSTS vorgesehen:

 

  • gesamtschuldnerische Haftung (Spieler und neuer Verein) auf eine Entschädigung an den ehemaligen Verein
  • Möglichkeit eines Transferverbots ggü. dem neuen Verein (wie etwa beim 1. FC Köln geschehen)
  • Ablehnungsgebot (an nationalen Verband des alten Vereins) hinsichtlich der Ausstellung eines internationalen Freigabeschein für den Verband des neuen Vereins, solange die Streitigkeit über die Auflösung besteht.

Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen in ihrer Gesamtwirkung

Der EuGH führte aus, dass die Gesamtheit der drei Maßnahmen den Spieler und den aufnehmenden Verein über Gebühr belasten. Damit ist jedoch nicht gesagt, welche der Maßnahmen „weggelassen“ oder „entschärft“ werden müssten. Es geht um die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen in ihrer Gesamtwirkung und nicht um einen unzulässigen Tatbestand oder die generelle Unverhältnismäßigkeit jeder einzelnen Maßnahme. Welche der drei Rechtsfolgen modifiziert werden müsse, steht zumindest nicht in der Pressemitteilung und bleibt abzuwarten. Das Transfersystem muss also geändert werden, fraglich ist, ob es gravierender Änderungen bedarf.

Zudem sieht der EuGH eine Beschränkung des Wettbewerbsrecht, auf die nicht näher eingegangen werden kann. Es könnte meines Erachtens jedoch ein Fingerzeig sein, dass der 2. und/oder 3. Punkt potenzielle Änderungsopfer sind. Dies umso mehr, wenn der aufnehmende Verein sich nicht in die Pflichtverletzungen durch den Spieler verstrickt hat (keine Anstiftung, psychische Beihilfe o.ä.). Denn in diesen Fällen ist dem aufnehmenden Verein kein Vorwurf zu machen, wobei aber eine Beweisführung wohl schwierig wäre.

 

 

Prof. Dr. Martin Maties ist Universitätsprofessor an der Universität Augsburg. Er hat dort die Professur für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht sowie Methodenlehre inne. Zudem ist er dort auch Leiter der Forschungsstelle für eSport-Recht (FeSR). Prof. Maties ist Beirat der Zeitschrift SpoPrax, die im Nomos Verlag erscheint.