Im Gespräch mit Wibke Riekmann, Elisabeth Richter und Rolf Ahlrichs
Demokratie will gelebt werden. Doch wie lerne ich eigentlich, wie Demokratie geht? Unsere Expert:innen sind sich einig: Schon von klein auf können und sollen Kinder und Jugendliche Demokratie erleben. Im Interview sprechen sie über Partizipation, das Gefühl gehört zu werden und die Bedeutung von Jugendverbänden.
Was hat Sie dazu bewegt zu Demokratiebildung zu forschen?
Ahlrichs: Bei mir kam der Impuls, zum Thema der Demokratiebildung zu forschen, durch meine hauptamtliche Tätigkeit in einem Jugendverband. Wir hatten einen umfangreichen Prozess zur Weiterentwicklung unserer Mitbestimmungsstrukturen abgeschlossen. Am Ende stellte eine der beteiligten ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen fest, dass sie noch nie so viel über Demokratie gelernt habe wie während dieses Prozesses. Das wollte ich genauer wissen und fing an, mich intensiver mit der Demokratiebildung in Jugendverbänden zu beschäftigen.
Richter: Ich habe in meinem Studium einen Text von Jürgen Henningsen mit folgendem Titel gelesen: “Vielleicht bin ich heute noch ein Nazi” (1982). Er hat mich motiviert, mich mit den Erziehungsmethoden und -zielen des Nationalsozialismus zu befassen und gemeinsam mit Lehrenden und Studierenden in Theorie und Praxis der Forschungsfrage nachzugehen: Wo wird Mensch eigentlich Demokrat*in? Wie Rolf Ahlrichs wollte ich genauer wissen, wie man in der heutigen Gesellschaft Demokratiebildung und demokratische Erfahrungen ermöglichen kann und wie Bildungsinstitutionen dafür verfasst sein müssen.
Riekmann: Auch bei mir kam das Interesse, sich wissenschaftlich mit dem Thema auseinanderzusetzen durch das Studium. Ich war da bereits viele Jahre ehrenamtlich in einem Jugendverband engagiert und konnte dann durch die wissenschaftliche Beschäftigung viele Erfahrungen anders reflektieren. Biographisch hat demokratische Partizipation im Jugendverbandsarbeit einen sehr großen Einfluss auf meinen Lebensweg gehabt, so dass es für mich faszinierend war zu erfahren, dass man diese Erfahrungen systematisieren kann.
Welche Rolle spielen Jugendverbände und ehrenamtliches Engagement für die Demokratie?
Richter: Demokratie kann man nur dadurch lernen, dass man Demokratie praktiziert. Und ehrenamtliches Engagement ist eines der Prinzipien für eine solche Praxis. Daneben sind außerdem relevant: eine lokale Organisation, freiwillige Mitgliedschaft, ein gewisses Maß an Öffentlichkeit sowie Rechte, Gremien und Verfahren, die demokratische Partizipation garantieren. Jugendverbände sind strukturell nach diesen Prinzipien, die zusammen als Vereinsprinzip bezeichnet werden, aufgestellt.
Ahlrichs: Auf der Basis des Vereinsprinzips haben Jugendverbände in der Demokratie eine doppelte Funktion: Zum einen wirken sie als demokratischer Erfahrungs- und Bildungsort nach innen – Menschen lernen Demokratie, indem sie sie praktizieren. Zum anderen vermitteln Jugendverbände die Anliegen und Interessen von Kindern und Jugendlichen in die kommunale Öffentlichkeit und wirken so an der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung mit.
Riekmann: Und diese Mitwirkung setzt freiwilliges Engagement voraus. Jugendverbände sind eine zentrale Institution der Zivilgesellschaft. Hier findet ein großer Teil der oben erwähnten Meinungs- und Willensbildung statt. Indem wir uns engagieren, werden wir ein Teil demokratischer Prozesse und zeigen unsere Bereitschaft für gesellschaftliche Mitgestaltung. Für Kinder und Jugendliche sind Jugendverbände der Ort, wo sie in dieses Verständnis hineinwachsen und es gleichzeitig umsetzen. Deswegen sind Engagement und Ehrenamt für unsere demokratische Gesellschaft konstitutiv. Die Handlungsaufforderung, sich zu engagieren, gilt natürlich auch für uns Erwachsene.