Wir haben uns mit Dr. Cornelius Friesendorf, Leiter des Zentrums für OSZE-Forschung (CORE) und Wissenschaftlicher Referent am Institut für Friedensforschung- und Sicherheitspolitik (IFSH) über den Russland-Ukraine-Krieg und die Rolle der OSZE unterhalten:
Welches Motiv hat Putin?
„Der Kreml will die europäische Sicherheitsordnung durch Krieg umgestalten. Russland war zunehmend marginalisiert, und der Kreml sieht russische Sicherheitsinteressen insbesondere durch eine Westbindung der Ukraine bedroht.“
Handelt es sich um einen Stellvertreterkrieg?
„Es handelt sich nicht um einen Stellvertreterkrieg, sondern um einen großen Krieg zwischen zwei Staaten. Schon am Konflikt in der Ostukraine in den vergangenen acht Jahren beteiligte sich Russland mitunter direkt.“
Wie ist die Bedrohungslage Europas?
„Es besteht das Risiko einer nicht-gewollten Eskalation, die über die Ukraine hinausgehen kann. Wenn es zu einem direkten Konflikt zwischen der NATO und Russland kommen sollte, wäre dies fatal.“
Welche Aufgabe kommt der OSZE in der jetzigen Lage zu?
„Eine zentrale Aufgabe der OSZE ist die Verhinderung von Krieg. Dafür braucht es aber die Bereitschaft von Regierungen zum Gewaltverzicht, und Russland wollte Krieg. Die Zukunft bestehender Formate wie die Sonderbeobachtungsmission der OSZE in der Ukraine oder die Trilaterale Kontaktgruppe ist nun natürlich ungewiss, und als Verhandlungsforum ist die OSZE während des Krieges gelähmt. Trotzdem sollten Staaten die OSZE nutzen, um eine weitere Eskalation zu verhindern und über eine friedliche europäische Ordnung zu verhandeln.“
Wen greift Putin als nächstes an, wenn man ihn selbst bei der Eroberung der gesamten Ukraine gewähren lässt. Finnland? Schweden, oder andere Nicht-Nato-Staaten?
„Der Kreml sieht seine Interessen vor allem durch Entwicklungen im post-sowjetischen Raum bedroht, und der Überfall auf die Ukraine zeigt, wie weit Präsident Putin geht, um diese Interessen zu verteidigen. Ein Angriff Russlands auf weitere Staaten, selbst wenn diese nicht Mitglied der NATO sind, würde das Risiko einer Konfrontation zwischen Russland und der NATO wesentlich erhöhen. Zur Zeit ist unklar, ob der Kreml weitreichendere Kriegsziele hat und bereit ist, das Risiko eines direkten Konfliktes mit der NATO in Kauf zu nehmen.“
Das IFSH gibt im Nomos Verlag die OSCE Insights, vormals das sogenannte „OSZE-Jahrbuch“, heraus. Die OSCE Insights sind im Open Access in der Nomos eLibrary verfügbar.