Komplexität chemischer Regulatorik von Produkten

Komplexität chemischer Regulatorik von Produkten

Von Kevin Rodler

Der hohen Dynamik und der Komplexität geschuldet erfordert kaum ein anderer regulatorischer Bereich ein ähnlich hohes Maß an Flexibilität und Selbstlenkung der installierten Compliance-Prozesse wie die stetig steigenden stoffrechtlichen Anforderungen.

Anfänge chemischer Compliance

Die bereits seit 1976 harmonisierten stoffrechtlichen Anforderungen fanden bei den meisten Marktteilnehmern – mit Ausnahme der chemischen Industrie und den Produktbereichen Spielzeug und Bedarfsgegenstände – kaum Beachtung. Die Situation änderte sich durch das Inkrafttreten REACh-VO 1907/2006 und der damit verbundenen Einführung eines von Grund auf neu gestalteten europäischen Chemikalienrechts.

Chemische Compliance: Daten, Daten, Daten!

Der von REACh verfolgte Ansatz „no data – no market” erfordert für das Inverkerhrbringen von Stoffen, Gemischen und Produkten umfangreiche Daten. Entgegen der bisherigen Praxis aber nicht mehr überwiegend von der chemischen Industrie, die heute komplexe Zulassungsverfahren für neue Stoffe durchlaufen muss, sondern auch von Herstellern und Importeuren in Bezug auf die Vermarktung von „Erzeugnissen“.

 

Markteilnehmer sehen sich nun der Herausforderung gegenüber, vollständig neu gedachte, möglichst flexible Prozesse zu integrieren, um den in REACh-VO Art. 33 verankerten Informationspflichten überhaupt gerecht werden zu können.

 

Insbesondere Händler und Importeure haben kaum Kenntnis von gefährlichen Stoffen in ihren Produkten und stehen vor der Herausforderung, die Dynamik der SVHC-Liste (Kandidatenliste, gem. VO (EU) 1907/2006, Art. 57) mit derzeit 242 Stoffen (Stand 01/2025) und halbjährlichen Aktualisierungen so in bestehende Dokumentations- und Prüfprozesse zu integrieren, dass ständig aktualisierte Informationen an Betroffene herausgeben werden können.

 

Neben der Erfüllung der Informationspflichten muss der Prozess bestenfalls auch Strategien zur weitestgehenden Vermeidung gelisteter Stoffe, sowie Vorbereitungen zur Einhaltung etwaiger Stoffverbote oder Stoffbeschränkungen enthalten, insoweit ein Kandidatenstoff in Anhang XIV oder XVII überführt wird.

 

Im Vorlauf zur Beschränkung von PFAS (Per- und polyfluorierte Verbindungen) zeigte sich deutlich die schlechte Datenlage vieler Marktteilnehmer. Importeure standen vor der Herausforderung, PFAS belastete Produkte zu identifizieren, ohne dabei auf belastbare Informationen ihrer (zumeist) Drittlands Lieferanten zurückgreifen zu können. Die fundierte Kenntnis über Inhaltsstoffe und das Aufrechterhalten einer Stoffdatenbank auf Komponentenbasis sind jedoch Grundvoraussetzung chemischer Compliance.

 

Dieser Umstand beschränkt sich nicht nur auf REACh, sondern auch auf andere stoffrechtliche Anforderungen wie z. B. der POP-VO (EU) 2019/1021 oder der RoHS-RL 2011/65/EU.

 

Zahlreiche Ausnahmen, wie die u. a. in Anhang III und IV der RoHS-RL 2011/65/EU gelisteten, erschweren die Bewertung der Konformität zusätzlich und können sowohl zu falsch-positiv- als auch falsch-negativ-Ergebnissen führen.

 

Die notwendige Sorgfalt erfordert (abhängig von der Zuverlässigkeit des Lieferanten) neben der Sammlung und Verifizierung der durch den Hersteller des Erzeugnisses bereitgestellten Dokumente (Prüfberichte, Stoff- und Sicherheitsdatenblätter, usw.) auch eigene Prüfungen durch akkreditierte Prüflabore, um die Glaubwürdigkeit der übermittelten Dokumente zu überprüfen und die Konformität der Produkte zu gewährleisten.

 

In der Praxis bilden eine Dokumentensammlung plus eigene Prüfungen also eine solide Basis. Die ausschließliche Bewertung über bereitgestellte Unterlagen birgt zu viele Risiken, während ausschließlich chemische Prüfungen schon prüf- und kostentechnisch kaum umsetzbar sind.

Fazit

Die immer kürzer werdenden Abstände von Aktualisierungen und Erweiterungen stoffrechtlicher Anforderungen, die stetig steigende Zahl zu betrachtender Stoffe und die inzwischen kaum noch überschaubare Anzahl an Ausnahmeregelungen schaffen ein hoch komplexes Compliance-Konstrukt mit immensen Datenmengen.

 

Durch die Einführung des digitalen Produktpasses im Rahmen der GPSR (Produktsicherheitsverordnung) dürfte sich die Lage weiter zuspitzen, da auch diese Informationspflichten zu chemischen Inhaltsstoffen beinhaltet.

 

 

Kevin Rodler ist seit über 20 Jahren im Compliance-Umfeld tätig und Managing Partner des Beratungsunternehmens FMR SQUARE GmbH sowie Chief Compliance Officer der Thomann GmbH.