Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz aus Sicht des Produktrechts

12.03.2025

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz aus Sicht des Produktrechts

von Dr. Jens Nusser

Bisher hat das am 28. Juni 2025 in Kraft tretende Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) vorwiegend wegen dessen Anforderungen an Webshops und Apps Aufmerksamkeit erlangt. Das BFSG findet aber nicht nur auf Dienstleistungen, sondern auch auf eine Bandbreite an Produkten, insbesondere aus dem Bereich der Verbraucherelektronik, Anwendung. Hersteller und Händler, die dies noch nicht getan haben, sollten zeitnah die Anwendbarkeit des BFSGs auf ihr Produktportfolio überprüfen. Bei Nichtkonformität mit dessen Anforderungen drohen weitreichende Konsequenzen.

Produktbezogener Anwendungsbereich

In sachlicher Hinsicht findet das BFSG auf die in § 1 Abs. 2 BFSG genannten non-food Produkte Anwendung. Hierzu zählen, Universalcomputer wie PCs oder Smartphones, einschließlich deren Betriebssysteme, bestimmte Selbstbedienungsterminals, Verbraucherendgeräte für Telekommunikationsdienste wie Router oder Mobiltelefone, Verbraucherendgeräte für die Nutzung audiovisueller Mediendienste wie Streaming Sticks, Set-top-Boxen oder Spielekonsolen und E-Book-Lesegeräte.

 

Zeitlich gelten die Anforderungen des BFSGs weitestgehend für nach dem 28. Juni 2025 in den Verkehr gebrachte Produkte. Das Gesetz verpflichtet alle Wirtschaftsakteure in der Wertschöpfungskette, vom Hersteller über den Einführer bis hin zum Händler.

Barrierefreiheit und Pflichten

Ein dem BFSG unterfallendes Produkt darf nur dann in den Verkehr gebracht werden, wenn es barrierefrei ist. Die Anforderungen, die ein Produkt konkret erfüllen muss, um barrierefrei zu sein, regelt die Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSGV). Diese stellt allgemeine und spezielle Anforderungen, die nur für bestimmte Produkttypen gelten, auf. Die Vorgaben der BFSGV sind teilweise unklar formuliert, sodass sich deren Einhaltung in der Praxis als schwierig gestalten kann.

 

Hersteller müssen die Konformität mit der BFSGV im Wege eines dokumentierten Konformitätsbewertungsverfahrens ermitteln, eine Konformitätserklärung abgeben und CE-Kennzeichnung am Produkt anbringen. Die BFSGV stellt unter anderem auch Anforderungen an begleitendes Informationsmaterial, insbesondere Gebrauchsanweisungen.

 

Der Einführer und der Händler dürfen ein Produkt erst dann in den Handel bringen, wenn sie sichergestellt haben, dass hinsichtlich des Produkts ordnungsgemäß ein Konformitätsbewertungsverfahren erfolgte und alle Kennzeichnungs- und Informationsvorgaben des BFSGs erfüllt sind.

Ausnahmetatbestände

Wenn eine BFSG-Anforderung einen Wirtschaftsakteur unverhältnismäßig belastet, sehen die §§ 16, 17 BFSG Ausnahmetatbestände vor, die es erlauben, einzelne Anforderungen nicht anzuwenden. Es zeichnet sich jedoch ab, dass Ausnahmen sich nur schwierig wegen grundlegender Veränderungen (§ 16 BFSG) werden begründen lassen. Es besteht zudem eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit bezüglich der Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes, auch vor dem Hintergrund, dass Ausnahmetatbestände grundsätzlich und im speziellen Fall streng auszulegen sind. Für Unternehmen bietet es sich daher an, eine Ausnahme wegen unverhältnismäßiger Belastung (§ 17 BFSG) in den Blick zu nehmen. Nach § 17 BFSG kann eine BFSG-Anforderung im Rahmen einer Abwägung verschiedener, auch wirtschaftlicher, Kriterien unangewandt bleiben.

 

Im Gegensatz zu den Regelungen für Dienstleistungen, beinhaltet das BFSG kaum Entlastungen für Kleinstunternehmen in Bezug auf Produkte. Diese sind nur von gewissen Dokumentations- und Informationspflichten befreit, wenn sie sich auf die Ausnahmetatbestände berufen.

Nichtkonformität und ihre Folgen

Für Wirtschaftsakteure, die gegen ihre Pflichten verstoßen, sieht das BFSG ein breites Repertoire an Konsequenzen und Sanktionen vor. Besonders gravierend ist, dass sie bei nicht anderweitig behebbarer Nichtkonformität zur Produktrücknahme oder zum Rückruf verpflichtet sind. Auch die Marktüberwachungsbehörden können die Bereitstellung von Produkten auf dem deutschen Markt einschränken oder Rückrufe anordnen. Zuständig sind die Marktüberwachungsbehörden der Länder.

Darüber hinaus drohen bei Verstößen Bußgelder von bis zu 100.000 € und Unterlassungsklagen wegen Verstößen gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Verbraucher und Verbraucherverbände können Marktüberwachungsmaßnahmen beantragen und bei Ablehnung auf dem Klageweg erzwingen.

 

 

Dr. Jens Nusser, LL.M. ist Partner der Sozietät Franßen & Nusser. Seine Beratungsschwerpunkte liegen im Produktsicherheits- und Produktumweltrecht sowie im Bereich Unternehmensorganisation und Compliance. Gemeinsam mit RAin Dr. Marthe-Louise Fehse gibt er das Nomos Praxis Buch „Das neue Ökodesign-Recht – Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte (ESPR)“ heraus, das aktuell im Nomos Verlag erschienen ist. Zudem ist er Autor im NomosKommentarÖkodesign Verordnung für nachhaltige Produkte“, der im Mai 2025 erscheint. Der vorliegende Beitrag erscheint als Preview der ZfPC 2/2025 (Zeitschrift für Product Compliance), die ebenfalls im Nomos Verlag erscheint.