Autor Dr. Björn Benken im exklusiven Interview über Ersatzstimmen und ihre Auswirkungen
In einer Zeit, in der Demokratie und Wahlprozesse immer wieder auf dem Prüfstand stehen, ist es wichtig, innovative Ansätze und Konzepte zu erforschen, die das demokratische System stärken können. Dr. Björn Benken hat sich intensiv mit dem Thema Wahlsysteme und insbesondere mit der Einführung von Ersatzstimmen beschäftigt. Die beiden Publikationen „Mehr Demokratie durch Ersatzstimme?“ und „Integrative Wahlsysteme“ beleuchten neue Ansätze, die die politische Landschaft verändern könnten. Den erstgenannten Tagungsband gibt Dr. Björn Benken gemeinsam mit Alexander Trennheuser heraus, den Einzelband hat er bereits 2022 veröffentlicht.
In diesem exklusiven Autoreninterview äußert sich Dr. Benken zu den Fragen, ob Wahlsysteme mit Ersatzstimmen tatsächlich demokratischer sind, ob sie verfassungsrechtlich zulässig sind und welche politischen Auswirkungen sie haben könnten.
Sind Wahlsysteme mit Ersatzstimme tatsächlich demokratischer?
Ja, diese Wahlsysteme sind tatsächlich demokratischer. Gibt man den Wählerinnen und Wählern eine Ersatzstimmen-Option an die Hand, kann man verhindern, dass sie als erste Wahl eine Partei ankreuzen, die sie in Wirklichkeit gar nicht bevorzugen und nur deshalb wählen, um ihre Stimme nicht zu verschenken. Im neuen Wahlsystem würden die Wahlergebnisse viel besser den wahren Wählerwillen ausdrücken und kleine Parteien bekämen endlich eine faire Chance im politischen Wettbewerb. Die gesamte politische Kultur würde sich ändern, wenn das Votum für eine kleine Partei plötzlich nicht mehr das Stigma einer verlorenen Stimme in sich trüge. Selbst frustrierte Nichtwähler würden vielleicht wieder eine Wahlbeteiligung ins Auge fassen. Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass die großen Parteien dann verstärkt den Anhängern kleiner Parteien zuhören würden, weil sie hoffen, von ihnen eine Ersatzstimme zu erhalten. Das hat eine integrative Wirkung und stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Sind sie verfassungsrechtlich zulässig?
Ohne jeden Zweifel: ja! Es wird zwar mitunter behauptet, dass in einem System mit Ersatzstimme einige Wähler eine doppelte Erfolgschance bekämen. Das ist aber falsch, denn die Ersatzstimme stellt ja lediglich eine Entschädigung dar für den Fall, dass die Stimme für die Partei der ersten Wahl entwertet wurde. Man kann sich ein Ersatzstimmensystem auch als zwei aufeinanderfolgende Wahlgänge vorstellen: Im Hauptwahlgang wird geschaut, welche Parteien mehr als 5 Prozent Erstpräferenzen auf sich vereinen und somit an der Stichwahl teilnehmen, deren Ergebnis sodann über die Sitzverteilung im Parlament entscheidet. Alle Wähler haben ausnahmslos zwei Stimmen, womit die Skepsis des Bundesverfassungsgerichts gegenüber diesem Wahlsystem widerlegt wäre. Wie Philipp Barlet in unserem Tagungsband eindrücklich zeigt, ist der Gesetzgeber sogar verpflichtet, ein Wahlsystem mit Ersatzstimme einzuführen, weil es sich hierbei um ein gleich-geeignetes milderes Mittel handelt.
Welche politischen Auswirkungen hätten derartige Wahlsysteme?
Da es noch nirgendwo ein System mit Ersatzstimmen gibt, sind Prognosen sehr spekulativ. Doch mit Sicherheit würde es seltener passieren, dass ein politisches Lager trotz Stimmenmehrheit nicht regieren darf, nur weil die Stimmen kleiner Koalitionspartner verloren gingen. Und die Sperrklausel würde durchlässiger werden – in beide Richtungen. Es würde leichter werden, in ein Parlament hineinzukommen, aber man fiele auch schneller wieder heraus. Das ist wie beim Lüften: Kommt frischer Wind hinein, muss an anderer Stelle verbrauchte Luft rausgedrückt werden. Ob aufgrund der Ersatzstimme mehr Parteien im Parlament säßen, ist fraglich; und falls doch, so ist nicht sicher, ob das wirklich schlecht ist. Manchmal ist es hilfreich, mehr Optionen für eine Regierungsbildung zu haben! Man stelle sich vor, bei den letzten Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen hätte eine 10%-Sperrklausel gegolten – dann gäbe es dort nur noch CDU und AfD und LINKE im Parlament. Viel Spaß bei den Koalitionsgesprächen!