Quo vadis, Demokratie? Demokratie und Rechtsstaat: Worum es jetzt geht

Quo vadis, Demokratie? Demokratie und Rechtsstaat: Worum es jetzt geht

Während die Union gemeinsam mit der SPD sondiert und erste Vorhaben an die Öffentlichkeit gelangen, überschlagen sich die Ereignisse in den USA unter der neuen Trump Administration. Die anstehenden Aufgaben und die bevorstehenden Herausforderungen kündigen eine schwierige Amtszeit eines potentiellen Kanzlers Merz an. Neben der wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Hürden, wird es eine Hauptaufgabe der neuen Regierung sein, die Demokratie zu stabilisieren und den Rechtsstaat zu schützen.

Genau diesem Anliegen widmet sich der Ziethener Kreis, ein Verbund von Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen. Im nachfolgenden Beitrag ruft der Ziethener Kreis die zukünftige Regierung zu einem entschlossen Handeln auf und erläutert welche Prioritäten Union und SPD jetzt setzen sollten.

Worauf es jetzt ankommt

Seit 75 Jahren leben wir in Deutschland in Frieden und Freiheit. Neben der wirtschaftlichen Stärke und der Einbindung Deutschlands in die Europäische Union ist es unsere auf dem Grundgesetz beruhende freiheitliche Ordnung, die unserem Land nach dem Zivilisationsbruch der Shoa wieder Anerkennung in den Augen anderer Völker verschafft hat. Demokratie, der liberale Rechtsstaat und die Verteidigung der Menschenrechte sind der Markenkern Deutschlands. Er ist bedroht durch im Vordringen begriffene rechtsnationalistische und freiheitsfeindliche Kräfte, die unser Land in einen autoritären Transformationsprozess zwingen wollen, an dessen Ende Autokraten das Land regieren. Noch haben wir es in der Hand, uns dem entgegenzustellen. Dazu gilt es, autokratische und populistische Bestrebungen als solche zu benennen und ihnen keinen weiteren Raum zu geben. Wir fordern von CDU/CSU und SPD, sich im Rahmen der anstehenden Koalitionsverhandlungen für eine Bewahrung unserer freiheitlichen Ordnung aktiv einzusetzen. Hierzu gehört für uns:

 

Keine schleichende Übernahme populistischer Narrative

Das Erstarken des Rechtspopulismus und Rechtsextremismus ist die wahre Bedrohung unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung. Es muss dringend aufhören, dass sich die Parteien des demokratischen Spektrums untereinander als Gefahr für unser Land brandmarken, statt geschlossen gegen die Demokratiefeinde aufzustehen. Die Übernahme der Narrative der Rechtsextremen ist Wasser auf deren Mühlen, nutzt nur ihnen und muss aufhören. Die demokratischen Parteien müssen Verantwortung für Problemlösungen übernehmen, statt wie die extreme Rechte „Sündenböcke” zu präsentieren. Das heißt auch: Jede Form der Kooperation mit den Rechtsextremen muss unterbleiben.

 

Journalismus schützen – Pressefreiheit verteidigen – Desinformation bekämpfen

Deutschlands Presse- und Medienlandschaft ist einzigartig. In kaum einem anderen Land der Welt haben Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, sich umfassend aus vielen verschiedenen Perspektiven faktenbasiert zu informieren. Tausende von Journalistinnen und Journalisten in den Redaktionen, in Hörfunk und Fernsehen, im Ausland und auf den Schlachtfeldern erweisen der Demokratie tagtäglich einen unschätzbaren Dienst. Aber die Verantwortung der Medienkonzerne und leider auch des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft muss stärker thematisiert werden. Lancierte und unreflektierte Katastrophenmeldungen über einen kurz bevorstehenden Untergang unseres Landes, die jeder Faktenbasis entbehren und nur dem Zweck dienen, Menschen zu verunsichern, sind kein Journalismus. Wer zur Erhöhung der eigenen Auflage und Reichweite oder auf Geheiß rechtspopulistisch eingestellter Inhaber nicht kritisch berichtet, sondern zielgerichtet spalterische Kampagnen betreibt, missbraucht die verfassungsrechtlich garantierte zentrale Rolle der Presse in einer freiheitlichen Demokratie. Aus gutem Grund hat die Medienaufsicht den russischen Propagandasender „Russia today“ verboten. Der Grat ist zu Recht sehr schmal. Seriöse, auch außerordentlich kritische Berichterstattung stärkt und sichert unsere Freiheit. Aber die wiederholte Verbreitung von fake news höhlt die Freiheit aus. Der freie Journalismus muss presserechtlich garantiert und aktiv gestärkt werden. Innerhalb der Medien müssen die Redaktionen vor Einflussnahme der Eigentümer auf den journalistischen Inhalt geschützt werden.

 

Völkerrechtsgebundenheit der Politik unterstreichen

Das Grundgesetz stellt fest, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind, die den Gesetzen vorgehen und Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohnerinnen und Bewohner des Bundesgebiets erzeugen. Das bedeutet für uns auch: Die Entscheidungen von internationalen Gerichtshöfen, die von Deutschland völkerrechtlich anerkannt worden sind, sind zu respektieren und ggf. umzusetzen. Die Welt darf – im Guten wie im Bösen – keinen Zweifel an der Völkerrechtstreue Deutschlands haben.

 

Unabhängigkeit der Justiz stärken – für resiliente Gerichte eintreten

In der jetzt zu Ende gehenden Wahlperiode zum Deutschen Bundestag ist es mit einer breiten Mehrheit gelungen, die Resilienz des Bundesverfassungsgerichts gegen eine politische Einflussnahme zu stärken. Dies war ein Kraftakt, der noch deutlicher hätte ausfallen können und vor allem noch früher hätte erfolgen müssen. Zudem darf er nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Verfassungsgerichtsbarkeit in einigen Bundesländern nach wie vor autoritären Angriffen ausgesetzt ist. Und nicht nur das: Rechtsnationalistische Kräfte beginnen, systematisch die Wahl bzw. Ernennung neuer Richterinnen und Richter für die Eingangsgerichte zu behindern, um so die Handlungsfähigkeit der Justiz radikal zu unterminieren. Die Angriffe auf eine unabhängige und handlungsfähige Justiz, so wie wir sie in den vergangenen Jahren in vielen Ländern beobachten mussten, haben nun auch in Deutschland begonnen. Dem muss die Politik nun endlich entschlossen Gegenwehr leisten.

 

Den Rechtsstaat nachjustieren: Schwere und gemeinschädliche Taten wirksam bestrafen, Bagatelldelikte entkriminalisieren

Es ist dringend an der Zeit, dem Strafrecht wieder seine eigentliche Aufgabe zuzuweisen, nämlich schwere und gemeinschädliche Verhaltensweisen zu pönalisieren. Es gibt genug zu tun. Der Korruptionsindex in Deutschland steigt. Bei der Vermögensabschöpfung für Taten im Bereich der organisierten Kriminalität kommt Deutschland nicht weiter. Und auch bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen muss Deutschland besser werden. Gerade hier bedarf es der Etablierung wirksamer Konzepte, die Frauen und Mädchen vor Männergewalt im häuslichen wie im öffentlichen Umfeld schützen und jeder Form der Täter-Opfer-Umkehr eine klare Absage erteilen. Dies sind die Herausforderungen an eine zeitgemäße Kriminalpolitik, nicht aber eine Diskussion über die Rücknahme der wenigen Entkriminalisierungsversuche der Vorgängerregierung. Diese sollte man fortsetzen, um die die knappen Ressourcen in der Justiz effizient ein setzen zu können.

 

Kinder und Jugendliche schützen – Strafmündigkeitsgrenze bewahren

Taten von Kindern, die andere Kinder töten oder schwer misshandeln, erschüttern uns. Diese Taten sind Ausdruck einer Verrohung der Gesellschaft und immer die Folge schwerster Traumatisierungen auf Grund von sexuellem Missbrauch, Gewalterfahrungen und Vernachlässigungen. Der Staat muss hier sein Wächteramt ausüben und Kindern eigene Rechte im Grundgesetz zugestehen.

Die Strafmündigkeitsgrenze herabsetzen zu wollen, ist ebenso kleinmütiger Ausdruck staatlicher Hilflosigkeit infolge jahrelang vernachlässigter zeitgemäßer Jugend- und Bildungspolitik wie die Absicht, Heranwachsende grundsätzlich nach Erwachsenenstrafrecht behandeln zu wollen. Jugendhilfe, Sozialpädagogik und Bildungsangebote wirken seit Jahrzehnten weit erfolgreicher auf die Persönlichkeitsentwicklung und Rückfallverhütung als eine rein repressive Antwort des Staates. Die weitgehende Einbeziehung von Heranwachsenden in das Jugendstrafrecht entspricht dem entwicklungspsychologischen und neurowissenschaftlichen Erkenntnisstand und hat sich bewährt.

 

Gegen Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung – für ein selbstbestimmtes Leben aller

Das Leben von Jüdinnen und Juden ist an vielen Orten in Deutschland nicht mehr sicher. Institutioneller Rassismus und vielfältige Diskriminierungen machen die Lebensrealität vieler Menschen in Deutschland aus. Die Politik muss damit aufhören, die unterschiedlichen Dimensionen von Diskriminierungen gegeneinander auszuspielen. Wir brauchen ein Klima des gegenseitigen Respekts, in dem eine Anerkennung des jeweiligen Gegenübers und zugleich ein kritischer Dialog möglich ist.

 

Gegen die Einschüchterung der Zivilgesellschaft Stellung beziehen

Keine freiheitliche Demokratie kann ohne die Zivilgesellschaft, die sie in all ihren unterschiedlichen Vorstellungen und Ausprägungen trägt, leben. Viele zivilgesellschaftliche Organisationen leben von Spenden und nicht von staatlicher Finanzierung. Ein freiheitlicher Staat muss es den zivilgesellschaftlichen Bewegungen und Organisationen aber auch ermöglichen, ihre Anliegen zu artikulieren. Dem dient das Gemeinnützigkeitsrecht und gegebenenfalls auch eine angemessene finanzielle Ausstattung im Rahmen des geltenden Haushaltsrechts. Jenseits dessen hat sich der Staat auch nur des Versuchs der Einflussnahme und der Einschüchterung zivilgesellschaftlichen Engagements zu enthalten. Es ist ein Kennzeichen sich etablierender autoritärer Systeme, zunächst die Zivilgesellschaft zum Schweigen zu bringen.

 

 

Die Autor:innen

Der vorliegende Beitrag ist eine gemeinschaftliche Arbeit des Ziethener Kreises. Der Ziethener Kreis besteht aus Wissenschaftler*innen, Praktiker*innen sowie Kriminalpolitiker*innen, die unabhängig und überparteilich rationale und humane kriminalpolitische Reformen erörtern, über sie publizieren und für sie eintreten. Zum Ziethener Kreis gehören Prof‘in Dr. Nadine Bals, Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen, Dortmund; Prof. Dr. Heinz Cornel, Alice Salomon Hochschule, Berlin; Prof. Dr. Frieder Dünkel, Universität Greifswald; Staatssekretär a.D. Christoph Flügge, Berlin; Staatssekretär a.D. Ulrich Freise, Berlin; Staatssekretärin a.D. Saraya Gomis, Berlin; Manfred Lösch, Berlin; Prof‘in Dr. Ineke Pruin, Universität Bern, Prof. Dr. Bernd-Rüdiger Sonnen, Universität Hamburg und Anke Stein, Berlin.