Die neue EU-Produkthaftungsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2024/2853)

28.03.2025

Die neue EU-Produkthaftungsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2024/2853)

von Dr. Carsten Schucht

Nach bald 40 Jahren wurde das europäische Produkthaftungsrecht kürzlich reformiert: Ergebnis der Reformbemühungen ist die neue EU-Produkthaftungsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2024/2853), die am 18.11.2024 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde.

Nationale Umsetzung

Die EU-Produkthaftungsrichtlinie ist zwar bereits in Kraft getreten (konkret am 8.12.2024), „scharf“ gestellt wird sie aber erst ab dem 9.12.2026. Denn bis dahin müssen die 27 EU-Mitgliedstaaten für die nationale Transformation sorgen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland namentlich in Reformen des Produkthaftungsgesetzes (ProdHaftG) und ggf. auch der Zivilprozessordnung (ZPO) niederschlagen werden.

Anwendungsbereich

Der Anwendungsbereich wird in sachlicher Hinsicht ausgedehnt: Der neue Produktbegriff in Art. 4 Nr. 1 Richtlinie (EU) 2024/2853 umfasst nicht nur alle beweglichen Sachen und Elektrizität. Zudem sollen digitale Konstruktionsunterlagen, Rohstoffe und Software als Produkte in diesem Sinne angesehen werden.

Produktfehler

Im Zentrum des neuen Produkthaftungsrechts steht die Regelung zum Produktfehler. Gemäß Art. 7 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2024/2853 ist ein Produkt fehlerhaft, „wenn es nicht die Sicherheit bietet, die eine Person erwarten darf oder die gemäß Unionsrecht oder nationalem Recht vorgeschrieben ist.“ Im entsprechenden Katalog des Art. 7 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2024/2853 werden auch beachtliche Umstände wie die künstliche Intelligenz (lit. c)), Kombinationsrisiken (lit. d)) oder von zuständigen Behörden angeordnete Rückrufe (lit. g)) genannt. Im Übrigen bleibt es auch dabei, „dass der Kläger die Fehlerhaftigkeit des Produkts, den erlittenen Schaden und den ursächlichen Zusammenhang zwischen dieser Fehlerhaftigkeit und diesem Schaden zu beweisen hat“, Art. 10 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2024/2853.

Haftungsadressaten

Sodann ist Art. 8 Richtlinie (EU) 2024/2853 mit den Haftungsadressaten von immenser praktischer Bedeutung. Derzeit haften bekanntlich in erster Linie nur der (Quasi-)Hersteller, der Importeur und eingeschränkt der Lieferant (Händler). Neu ist, dass zukünftig auch die folgenden Akteure haften sollen:

 

  • der Bevollmächtigte, wenn der Hersteller des fehlerhaften Produkts außerhalb der EU niedergelassen ist (Art. 8 Unterabs. 1 Buchst. c) ii) Richtlinie (EU) 2024/2853)
  • der Fulfilment-Dienstleister, wenn der Hersteller des fehlerhaften Produkts außerhalb der EU niedergelassen ist und auch weder Importeur mit Sitz in der EU noch Bevollmächtigter vorhanden ist (Art. 8 Unterabs. 1 Buchst. c) iii) Richtlinie (EU) 2024/2853)

Schließlich kann auch der Anbieter einer Online-Plattform (wie der Lieferant bzw. Händler) in Zukunft eingeschränkt haften, Art. 8 Abs. 4 Richtlinie (EU) 2024/2853.

Schadensersatzrecht

Im Schadensersatzrecht fallen zunächst mehrere Beschränkungen weg: Erstens der bisherige Haftungshöchstbetrag i.H.v. 85 Millionen € gemäß § 10 Abs. 1 ProdHaftG und zweitens der Selbstbehalt i.H.v. 500 € bei Sachschäden an privat genutzten Sachen gemäß § 11 ProdHaftG. Drittens sollen im Falle von Sachschäden nur noch solche Schäden außen vor bleiben, die Sachen betreffen, die ausschließlich für berufliche Zwecke genutzt werden, Art. 6 Abs. 1 Buchst. b) iii) Richtlinie (EU) 2024/2853. Und viertens soll auch die Vernichtung oder Beschädigung solcher Daten als Schaden relevant sein, die nicht für berufliche Zwecke verwendet werden, Art. 6 Abs. 1 lit. c) Richtlinie (EU) 2024/2853.

Ausblick

Aus nationaler Perspektive gilt der Fokus nunmehr den deutschen Umsetzungsbemühungen, die durch die Bundestagswahl absehbar neuen Schwung erhalten. National werden nicht zuletzt die Beweiserleichterungen für den Geschädigten einerseits und die neuen Offenlegungspflichten in Bezug auf Beweismittel (sog. disclosure of evidence/documents) andererseits eine Transformation erleben. Gerade diese neuen Regelungen in den Artt. 9 f. Richtlinie (EU) 2024/2853 werden zu Recht als Verschärfungen für die Industrie interpretiert.

 

 

Dr. Carsten Schucht ist Rechtsanwalt in der Produktkanzlei in Berlin. Er ist auf das Produktsicherheits- und Produkthaftungsrecht spezialisiert und Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum Produktrecht (im Nomos Verlag erschien zuletzt der Handkommentar von Schucht/Wiebe „EU-Produktsicherheitsverordnung – GPSR“ sowie demnächst der englischsprachige Einführungsband „General Product Safety Regulation“ der beiden Autoren). Als Industrieanwalt berät er in marktüberwachungsbehördlichen Verfahren, bei der Abwehr produkthaftungsrechtlicher Ansprüche, bei weltweiten Produktrückrufen und allen Fragen der Product Compliance.

 

Dr. Carsten Schucht wird am 9.4.2025 im NomosWebinar „Product Compliance – Update: Die neue EU-Produkthaftungsrichtlinie“ die neuen Regelungen vorstellen: https://www.nomos.de/nomoswebinare-product-compliance-update/