Big Data und das neue Datenrecht

14.11.2023

Big Data und das neue Datenrecht

Beitrag von Prof. Dr. Georg Borges und Dr. Ulrich Keil

Wenn wir in diesen Tagen über das Potential der KI staunen, schauen wir zugleich auf die Bedeutung von Big Data, der Erzielung neuen Wissens aus der Nutzung großer Datenmengen. Das maschinelle Lernen ist de facto ein Anwendungsfall von Big Data, da die Erfolge derzeit entscheidend vom Umfang der Trainingsdaten abhängen.

Big Data ist die wesentliche Grundlage der sog. Data Economy – ein Schlagwort, mit dem verdeutlicht werden soll, dass die Nutzung von Daten den zentralen Rohstoff der künftigen Wirtschaft darstellt.

Big Data und Data Economy benötigen einen verlässlichen rechtlichen Rahmen. Der europäische Gesetzgeber versucht, durch hastigen Erlass zahlreicher weitreichender Rechtsakte diesen Rechtsrahmen zu schaffen.

Die Entstehung eines neuen Datenrechts

In dem erst vor wenigen Jahren begonnenen Entstehungsprozess eines Datenrechts vollzieht sich derzeit eine bemerkenswerte Kehrtwende: Galt die Diskussion noch vor wenigen Jahren vor allem der Frage, ob ein „Dateneigentum“ des Schöpfers eines Datums zu schaffen sei, stehen heute der Zugang zu Daten und das Recht zur Nutzung von Daten im Vordergrund. Mit dem Konzept der europäischen Datenräume soll ein Binnenmarkt für Daten entstehen, in dem Verfügbarkeit und Nutzung von Daten Vorrang genießen und, etwa im Fall des vorgeschlagenen europäischen Gesundheitsdatenraums, selbst in sensibelsten Bereichen personenbezogener Daten staatlich verwaltete Datenpools entstehen sollen.

Der europäische Gesetzgeber legt ein hohes Tempo vor: Der Data Governance Act, der die gemeinsame Nutzung von Daten durch Intermediäre regelt, ist seit wenigen Wochen (24.9.2023) zeitlich anwendbar. Der Text des Data Act, der den Zugang zu Daten auf ein neues rechtliches Fundament stellen soll und weitreichende Pflichten zum Teilen von Daten enthält, ist bereits politisch abgestimmt, die Verordnung wird voraussichtlich in wenigen Wochen erlassen. Der AI Act, der anspruchsvolle Pflichten im Umgang mit Daten beim maschinellen Lernen regelt, soll noch in diesem Winter erlassen werden. Die Verordnung zur Schaffung des europäischen Gesundheitsdatenraums (European Health Data Space) befindet sich im Gesetzgebungsverfahren und könnte noch in dieser Legislaturperiode des Europäischen Parlaments erlassen werden.

Weitere Rechtsfragen von Big Data

Dessen ungeachtet wird der Großteil der Rechtsfragen rund um die Nutzung von Daten durch Anwendung bestehender Rechtsnormen zu regeln sein:

Wenn personenbezogene Daten betroffen sind, stellen sich zentrale Rechtsfragen im Bereich des Datenschutzes, unter anderem bzgl. der Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung oder der Anonymisierung und Pseudonymisierung personenbezogener Daten. Der Charakter des Datenschutzrechts wird angesichts der erheblichen Sanktionen bei Datenschutzverstößen verbreitet als Hemmschuh einer effizienten Datennutzung gesehen.

Das Immaterialgüterrecht ist von erheblicher Bedeutung. Ob „Daten“ tauglicher Gegenstand von Immaterialgüterrechten sind, hängt von deren Inhalt ab. Technische Schutzrechte wie Patente oder Gebrauchsmuster werden hier seltener relevant werden als z.B. das Urheberrecht (v.a. der Schutz von Datenbankwerken oder Datenbanken).

Bei der Erstellung von Big-Data-Analysen werden Daten jedenfalls vorübergehend vervielfältigt i.S. von § 44a UrhG. Und das Text bzw. Data Mining nach § 44b UrhG erlaubt es erst, Künstliche Intelligenz zu trainieren. Auch der immaterialgüterrechtsähnliche Schutz von Geschäftsgeheimnissen kann der Datenverwendung entgegenstehen.

Lauterkeitsrechtlich stehen vor allem der ergänzende wettbewerbliche Leistungsschutz sowie Fragen der Belästigung oder Irreführung im Raum. Zuletzt spielt auch das Kartellrecht eine Rolle, da Daten und insbesondere der Besitz großer Datenmengen Marktmacht begründen können. Im Umkehrschluss kann der fehlende Zugang zu Daten eine relevante Markteintrittsbarriere darstellen.

Aufgrund der „Unbesorgtheit“ im Zusammenhang mit der Digitalisierung werden oft Fragen der Haftung für Daten und Analyseergebnisse übersehen. Das ist verwunderlich, da Big-Data-Analysen häufig die Grundlage für Geschäftsentscheidungen darstellen: Eine mangelhafte Datengrundlage (z.B. inhaltlich falsche oder nicht verarbeitbare Daten) oder eine falsche Datenanalyse können weitreichende Konsequenzen haben, nicht zuletzt die Fehlallokation von Investitionen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Steuerrecht. Neben Aspekten rund um die Betriebsstätte einer Big-Data-Cloud (gibt es überhaupt digitale Betriebsstätten?) ist die Besteuerung von Umsätzen von besonderem Interesse, etwa bei der steuerlichen Behandlung von Datenlizenzen. Auch lässt sich diskutieren, wie die Bereitstellung von Daten als Gegenleistung für andere Dienste zu qualifizieren ist: Handelt es sich ggf. um „tauschähnliche Umsätze“ mit allen (umsatz-)steuerlichen Konsequenzen?

Auch das Außenwirtschaftsrecht muss im Fokus stehen, da Big Data in den seltensten Fällen im rein nationalen Kontext stattfindet: Beim grenzüberschreitenden Datentransfer stellt sich oft die Frage, ob die Verwendung bestimmter Daten genehmigt werden muss.

Im Arbeitsrecht ist zu diskutieren, ob und wann die Einführung von Big-Data-Tools der betrieblichen Mitbestimmung unterliegt. Und auch die Kündigung von Mitarbeitern – ob „durch“ oder „aufgrund“ von Big Data – wird zu betrachten sein.

Letztlich wird der Gestaltung der Rechtsverhältnisse rund um die Nutzung von Daten durch die Praxis entscheidende Bedeutung zukommen. Derartige vertragliche Regeln werden voraussichtlich in unterschiedlichsten Konstellationen relevant: bilateral zwischen Datengeber und -nutzer oder auf der Grundlage von Vorgaben der Plattformbetreiber.

Ausblick

Ungeachtet des Umfangs der jetzt vorgelegten Regelungsentwürfe der Europäischen Kommission sind angesichts der Relevanz und Komplexität des Gebietes weitere Regelungen zu erwarten. Ob sich dadurch alles zum Besseren wenden wird, bleibt abzuwarten. Vielleicht würde im ein oder anderen Bereich die Aufarbeitung durch Wissenschaft und Praxis oder die Konturierung durch die Rechtsprechung eine flexiblere und interessengerechtere Handhabung mit sich bringen. Die Rechtsfragen von Big Data werden die Praxis aber in jedem Fall intensiv beschäftigen.


Prof. Dr. Georg Borges ist Direktor des Instituts für Rechtsinformatik an der Universität des Saarlandes. Dr. Ulrich Keil ist General Counsel Commercial & Technology der Schaeffler Group. Sie geben gemeinsam das Rechtshandbuch „Big Data“ heraus, das in Kürze im Nomos Verlag erscheint.