Legal Tech und Rechtsdienstleistungsrecht

12.12.2022

Legal Tech und Rechtsdienstleistungsrecht

Beitrag von Prof. Dr. Martin Ebers

Die zunehmende Bedeutung von Legal Tech hat Folgen für das deutsche Rechtsdienstleistungsrecht: Zum einen könnte das Unionsrecht einen Wegfall bestimmter nationaler Beschränkungen bewirken. Zum anderen stellt die neue Legal Tech-Realität die bisherige Konzeption des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) auf die Probe.

Deregulierung durch das Unionsrecht?

Bislang sind in der EU weder der traditionelle Rechtsdienstleistungsmarkt noch der Legal Tech-Markt harmonisiert worden. Insbesondere in Deutschland mehren sich indes Stimmen, die davon ausgehen, dass das Anwaltsmonopol oder bestimmte berufsrechtliche Vorschriften der BRAO gegen das unionsrechtliche Kohärenzgebot verstoßen. Teilt man diese Einschätzung, so könnten ausländische (und evtl. sogar inländische) Legal Tech-Anbieter aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts außergerichtliche Rechtsdienstleistungen frei von (bestimmten) berufsrechtlichen Restriktionen erbringen.

Das unionsrechtliche Kohärenzgebot

Nach dem Grundsatz der Kohärenz, der den Grundfreiheiten zugrunde liegt, vom EuGH entwickelt und in Art. 7 Abs. 2 lit. c Verhältnismäßigkeits-RL kodifiziert worden ist, kann eine nationale Regelung nur dann zum Schutz von Allgemeininteressen gerechtfertigt sein, wenn die Erreichung des vom Mitgliedstaat vorgebrachten Ziels in der fraglichen Rechtsmaterie in kohärenter und systematischer Weise angestrebt wird. Gerade dies wird bezweifelt, da nicht-anwaltliche Legal Tech-Inkassounternehmen auch nach Inkrafttreten des Legal Tech-Gesetzes 2021 in sehr viel geringerem Umfang reguliert werden als Rechtsanwälte.

Verstoß gegen Verhältnismäßigkeits-RL und Grundfreiheiten?

Daraus folgt jedoch nicht ohne Weiteres, dass das deutsche Rechtsdienstleistungsrecht gegen Unionsrecht verstößt. Erstens betrifft die Verhältnismäßigkeits-RL nur solche Vorschriften, die nach Ablauf der Umsetzungsfrist (30.7.2020) zu neuen Beschränkungen führen. Das Legal Tech-Gesetz hat indessen keine neuen Beschränkungen bewirkt, sondern vielmehr (wenngleich unvollständig) dafür gesorgt, dass die Wettbewerbsbedingungen von Legal Tech-Inkassounternehmen und Rechtsanwälten weiter angeglichen worden sind. Zweitens greifen die Grundfreiheiten nur bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt und nach hier vertretener Ansicht zudem nur dann, wenn der Marktzugang für ausländische Unternehmen spürbar beeinträchtigt wird.

Rechtfertigung des Anwaltsmonopols?

Schließlich streiten drittens gute Argumente dafür, dass sich das ungleiche Regulierungsniveau von Legal Tech-Inkassodienstleistern und Rechtsanwälten rechtfertigen lässt. Nach deutschem Recht haben Rechtsanwälte gerade nicht dieselbe Funktion wie Inkassodienstleister. Sie nehmen als unabhängiges Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) vielmehr eine besondere Stellung ein. Auch Rechtssuchende erwarten bei Beauftragung eines Legal Tech-Inkassounternehmens grds. nicht dieselbe Qualität und denselben Umfang von Rechtsinformation und -rat wie bei anwaltlichen Dienstleistungen. Auch der EuGH erkennt die Förderung der Rechtspflege ausdrücklich als einen Rechtfertigungsgrund für eine Ungleichbehandlung an. Ob der EuGH der hiesigen Argumentation folgen wird, ist freilich noch offen.

Software-bezogenes Genehmigungsverfahren?

Unabhängig hiervon wird das Rechtsdienstleistungsrecht durch Legal Tech-Software insofern auf den Prüfstand gestellt, als sämtliche im RDG verankerten Erlaubnistatbestände an die Qualifikation desjenigen anknüpfen, der eine Rechtsdienstleistung erbringt. Eine solche personenbezogene Erlaubnis kann jedoch nicht gewährleisten, dass die betreffende Software eine ausreichende Qualität aufweist. Deswegen muss – auch mit Blick auf die geplante europäische KI-Verordnung – geklärt werden, inwieweit bestimmte Legal Tech-Anwendungen künftig einem produktbezogenen Genehmigungsverfahren unterzogen werden sollen, in dem vor allem die Qualität der Software sowie der Trainingsdaten geprüft wird.


Prof. Dr. Martin Ebers ist Professor für IT-Recht an der Universität Tartu (Estland), Präsident der Robotics & AI Law Society (RAILS) und habilitierter Privatdozent an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. Neben Forschung und Lehre ist er seit vielen Jahren im Bereich der Prozessberatung aktiv. Prof. Dr. Martin Ebers gibt den StichwortKommentar Legal Tech heraus, der im Januar 2023 im Nomos Verlag erscheint.