Neue Pflichten für digitale Dienste – neue Rechte für deren Nutzer

19.09.2022

Neue Pflichten für digitale Dienste – neue Rechte für deren Nutzer

Beitrag von Prof. Dr. Franz Hofmann und Prof. Dr. Benjamin Raue

Der Gesetzgebungsprozess zum Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) steht kurz vor dem Abschluss: Das EU-Parlament hat bereits zugestimmt (und jetzt eine „glattgezogene“, neu nummerierte Fassung veröffentlicht), die Annahme durch den Rat in den kommenden Wochen gilt als Formsache. Angetreten, um die Regelungen der E-Commerce-Richtlinie „upzudaten“ und von vielen als eine Art „Grundgesetz für das Internet“ erwartet, lässt sich der finale Text des DSA immerhin als eine Art „Allgemeiner Teil“ des Internetrechts verstehen.

Wen betreffen die neuen Regelungen?

Adressaten des DSA sind Vermittlungsdienste, sogenannte Intermediäre (intermediary services), beispielsweise Online-Marktplätze und soziale Netzwerke. Der ganz große Wurf bleibt dabei aus: Obwohl im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens auch Suchmaschinen in den Anwendungsbereich der Verordnung einbezogen wurden, werden nur solche Intermediäre erfasst, die sich als Zugangsvermittler, Hostprovider oder Caching-Dienstleister kategorisieren lassen. Die im DSA niedergelegten Pflichten treffen alle Intermediäre, die ihre Dienste in der EU anbieten, unabhängig von ihrem Sitz. Obwohl der DSA primär (große) Intermediäre anspricht, hat die Verordnung gerade auch deren Nutzer im Blick. Sie sollen nicht nur besser vor Desinformation und rechtswidrigen Inhalten geschützt, sondern auch mit durchsetzbaren Rechten ausgestattet werden.

Was regelt der DSA?

Zum einen adressiert die Verordnung die Haftung von Intermediären gegenüber Dritten für rechtswidrige Nutzerinhalte. Obwohl der DSA keine „Anspruchsgrundlage“ enthält, sind die Regelungen zu Haftungsprivilegierungen und zahlreiche prozedurale Vorgaben wichtige Bausteine für die klassische Intermediärshaftung. Zum anderen legt der DSA insbesondere Plattformen und Suchmaschinen – abgestuft nach ihrer Größe – weitergehende Pflichten auf. Beispielsweise finden sich Transparenzvorgaben für die Inhaltemoderation, Inhalteempfehlungen und Werbung sowie ein Verbot des Einsatzes bestimmter manipulativer Techniken (dark patterns).

Welche Vorgaben gelten fort?

Die Haftungsprivilegierungen aus der E-Commerce-Richtlinie bleiben im Wesentlichen erhalten. Auch gilt weiterhin das Verbot allgemeiner Überwachungspflichten. Keinen Paradigmenwechsel bringt eine Neuregelung, wonach allein die Durchführung freiwilliger Maßnahmen nicht zu einem Verlust der Haftungsprivilegierungen führt (modifiziertes Gute-Samariter-Privileg).

Gibt es Neuerungen beim Notice-and-takedown-Verfahren?

Der DSA konkretisiert das Notice-and-takedown-Verfahren und die Beschwerdemöglichkeiten für Nutzer. Beispielsweise wird klargestellt, dass eine Meldung, die den Vorgaben des DSA entspricht, zur Kenntnis des Intermediärs von einem „rechtswidrigen Inhalt“ führt. Dies ist praktisch von erheblicher Relevanz, weil diese Kenntnis den Verlust des Hostprovider-Privilegs zur Folge hat.

Wie wird der DSA durchgesetzt?

Das neue Regelwerk stellt klar, dass Nutzer gegen Vermittlungsdienste Schadensersatzansprüche geltend machen können, wenn Letztere ihre Pflichten aus der Verordnung verletzen. Aus deutscher Sicht werden die Pflichten indirekt auch für das Lauterkeitsrecht und die klassische Intermediärshaftung von Bedeutung sein. Zugleich sieht der DSA ein genuin öffentlich-rechtliches Durchsetzungsregime vor – mit Bußgeldern von bis zu 6 % des weltweit erzielten Gesamtjahresumsatzes.

Wie geht es weiter?

Der gesamte DSA gilt voraussichtlich ab dem 1.1.2024 – für Anbieter sehr großer Online-Plattformen und Suchmaschinen jedoch ggf. schon früher im Laufe des Jahres 2023. Während die adressierten Vermittler gut beraten sind, sich baldmöglichst mit den neuen Vorgaben im Detail auseinanderzusetzen, können Nutzer vorerst abwarten, wie sich ihre Rechtsstellung tatsächlich verbessert.


Prof. Dr. Franz Hofmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Recht des Geistigen Eigentums und Technikrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Prof. Dr. Benjamin Raue ist Inhaber des Lehrstuhls für Zivilrecht, Recht der Informationsgesellschaft und des Geistigen Eigentums an der Universität Trier sowie Direktor des Instituts für Recht und Digitalisierung Trier (IRDT). Sie geben gemeinsam den Nomos-Kommentar zum Digital Services Act (ISBN 978-3-8487-7882-9) heraus, der Anfang 2023 erscheint.