Die neue europäische Plattformregulierung

07.11.2022

Die neue europäische Plattformregulierung

Beitrag von Prof. Dr. Björn Steinrötter

Der europäische Gesetzgeber war zuletzt sehr aktiv, wenn es um die legislative Einfassung der Digitaltrias Daten, Künstliche Intelligenz (KI) und Plattformen ging. Der gerade erst im Amtsblatt veröffentlichte Digital Services Act (DSA) sowie der Digital Markets Act (DMA) regulieren in erster Linie Plattformen. Beide EU-Rechtsakte wirken sich aber zugleich auf die Daten- und KI-Regulierung aus. Andersherum sind es eben nicht nur DMA und DSA, die Plattformbetreiber zu beachten haben.

Welche Unionsrechtsakte gelten für Plattformen?

Neben den bereits erwähnten DSA und DMA unterliegen Plattformen – je nach ihrer Ausgestaltung – bspw. der P2B-Verordnung, der Free Flow of Data-Verordnung, der E-Privacy-Richtlinie, der DS-GVO, dem Data Governance Act, der Digital Single Market-Richtlinie – sowie künftig dem Data Act, dem AI Act und dem European Media Freedom Act, die sich zwar noch im Entwurfsstadium befinden, aber aller Voraussicht nach geltendes Recht werden.

Welches Konzept liegt den jüngeren Regelungsansätzen der EU zugrunde?

Sowohl DSA und DMA als auch die meisten der übrigen Rechtsakte verfolgen einen horizontalen Regelungsansatz. Dies hat den Vorteil einer „Grundregulierung“, trägt aber logischerweise sektorspezifischen Besonderheiten grundsätzlich keine Rechnung. Eine gesonderte Ergänzung für bestimmte Sektoren, wie dies zB beim Entwurf für einen European Media Freedom Act der Fall ist, der wiederum auf der AVMD-Richtlinie aufbaut, gerät dementsprechend eher zur Ausnahme.

In welchem Verhältnis stehen die EU-Rechtsakte zueinander?

Gerade im Rahmen der jüngeren EU-Digitalrechtsgesetzgebung wird deutlich, wie schmerzlich eine ausgefeilte sekundärrechtliche Konkurrenzlehre fehlt. Denn durch die in den Rechtsakten regelmäßig Verwendung findenden Formulierungen „… bleibt unberührt“ oder „gilt unbeschadet von …“ ist zumeist nicht viel gewonnen. Abseits allgemeiner Feststellungen wie derjenigen, dass von Gatekeepern betriebene zentrale Plattformdienste häufig nicht nur die Vorgaben des DMA, sondern auch diejenigen des DSA, nicht nur diejenigen der DS-GVO, sondern (künftig) auch die des Data Act zu beachten haben, wird man also im Einzelfall zu eruieren haben, welcher Bestimmung aus welchem Rechtsakt im Konfliktfall der Vorrang gebührt.

Ist neben den Sekundärrechtsakten auch nationales Recht anwendbar?

Die Brüsseler Rührigkeit führt zu Herausforderungen bei der Rechtsanwendung im Mehrebenensystem. Denn neben den unionsrechtlichen Vorschriften sind regelmäßig auch rein innerstaatliche Normen zu berücksichtigen. Dies ist (in Deutschland) zumeist Bundes-, kann aber auch Landesrecht sein, zB im medienrechtlichen Bereich. Erschwert wird die Handhabung dadurch, dass mitunter unklar ist, ob oder inwieweit das EU-Recht mitgliedstaatliche Regelungen verdrängt. Dies ist etwa im Verhältnis DMA und § 19a GWB oder DSA und NetzDG problematisch.

Hat der neue Ansatz aus Brüssel Auswirkungen auf die Aufsichtsstruktur?

Eine nicht unerhebliche Rolle innerhalb des neuen Aufsichtsgefüges wird die EU-Kommission spielen. Daneben etablieren die Digitalrechtsakte mitunter spezifische „Boards“ als Koordinierungsgremien (zB das European Board for Digital Services). Wohl auch deshalb, weil die Digitalisierung die klassischen Marktgrenzen zunehmend verwischt und die EU daher eher horizontal anstatt sektorspezifisch reguliert, ist allerdings nicht immer klar, wer auf nationaler Ebene die zuständige Aufsichtsbehörde sein wird. Letztlich muss diese als „Superbehörde“ Expertise in einer Vielzahl von Rechtsbereichen aufweisen (zB im Medien-, Netzwerk-, Daten- und ggf. Kartell- sowie Verbraucherschutzrecht).

Prof. Dr. Björn Steinrötter ist Inhaber der Juniorprofessur für IT-Recht und Medienrecht an der Universität Potsdam. Er gibt das Nomos Handbuch „Europäische Plattformregulierung“ (ISBN 978-3-8487-7825-6) heraus, das im Frühjahr 2023 erscheint.