Herausforderungen der Sozialwirtschaft am Beispiel der sozialökologischen Wende

17.06.2024

Herausforderungen der Sozialwirtschaft am Beispiel der sozialökologischen Wende

Newsletter Soziale Aerbeit Herausforderungen der Sozialwirtschaft am Beispiel der sozialökologischen Wende

Klaus Grunwald, Andreas Langer und Monika Sagmeister über Herausforderungen der Sozialwirtschaft am Beispiel der sozialökologischen Wende

Gegenstand und Herausforderungen der Sozialwirtschaft

Wenn von Herausforderungen für die Sozialwirtschaft gesprochen wird, beziehen sich diese sowohl auf den Handlungs- und Analysebereich des Sozialmanagements als auch den der Sozialökonomie (Ökonomie der Sozialen Arbeit). Das jetzt in der zweiten Auflage erschienene Werk „Sozialwirtschaft. Handbuch für Wissenschaft, Studium und Praxis“ (Grunwald/Langer/Sagmeister 2024a) verortet Sozialwirtschaft als einen „Bereich des Wirtschaftens, der sich im Kern mit solchen Gütern befasst, die als ‚sozial‘ definiert werden. Der zentrale Gegenstand der Sozialwirtschaftslehre umfasst zunächst Rahmenbedingungen für die Ermöglichung sozialer Dienstleistungen als Handlungen, Leistungen, Maßnahmen, Dienste, Unternehmungen bis hin zu Kooperationsformen, Strukturen und Regulationen, die der Bereitstellung sozialer Dienstleistungen dienen“ (Grunwald/Langer/Sagmeister 2024b: 23). Als Herausforderungen werden im Handbuch sowohl externe Faktoren, aber auch interne Faktoren genannt und in einzelnen Beiträgen aufgearbeitet (vgl. Grunwald/Langer/Sagmeister 2024b: 36). Besonders zu nennen sind radikale gesellschaftliche Veränderungen (extern), aber auch die Beharrungskräfte der Sozialwirtschaft selbst (intern).

Herausforderungen am Beispiel der sozialökologischen Transformation

Die gebotene Kürze dieses Beitrags lässt es nicht zu, einen Gesamtüberblick über die Dimensionen der Herausforderungen zu geben. Stattdessen wollen wir an dieser Stelle Herausforderungen exemplarisch am Beispiel der ökologischen Wende benennen. Bislang sind bezüglich der sozialökologischen Wende vor allem die Sozialimmobilien als ein zentraler Bestandteil der kommunalen Daseinsvorsorge ins Visier der Analyse gekommen. Zusammen mit der ‚sozialen Mobilität‘ werden sie als Hauptfaktoren der Transformation angesehen. Diese Immobilien, deren Zweck die Erbringung sozialen Dienstleistungen ist, sind untrennbar an ihren unmittelbaren Nutzen gekoppelt (vgl. Michel 2022). Mit über 100.000 Gebäuden in Deutschland (vgl. Halfar 2024: 685) stellen sie einen bedeutenden Hebel für eine nachhaltige Transformation hin zur Klimaneutralität dar (vgl. Brüsseler Kreis 2023: 1). Ihr Potenzial ist jedoch noch weitgehend unerkannt und ungenutzt. Damit bleibt ihr potenzieller Beitrag zum Green Deal uneingelöst. Daher werden die Träger der Wohlfahrtspflege (insb. Caritas, Diakonie und Arbeiterwohlfahrt, vgl. Boeßenecker/Sagmeister 2024) und ihre Einrichtungen auch als „schlafende Riesen“ im Klimaschutz betrachtet.

Eine sozialwirtschaftliche Analyse kann allerdings nicht bei der Selbstthematisierung der freien Wohlfahrtspflege stehenbleiben. Betrachtet man die Frage nach Sozialimmobilien und Mobilität als Teil eines gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozesses, so kommen vollkommen neue Akteure, Prozesse und Themen in den Blick, in denen die wahren Herausforderungen für die Sozialwirtschaft exemplarisch deutlich werden. Im Gegensatz zu Modellen der For-Profit-Wirtschaft ist in der Sozialwirtschaft der explizite Bezug zur Mitgestaltung politischer Regelungen und Prozesse auf unterschiedlichen Ebenen vorgesehen wie auch proklamiert, wie z.B. in Gesetzgebungsverfahren, in Verordnungen, Rahmenvereinbarungen, in Sozial- und Bedarfsplanungen bis hin zur politischen Mitverantwortung im subsidiär-korporativen System zwischen öffentlichen Leistungsträgern und Wohlfahrtverbänden.
Vor diesem Hintergrund hat sich die gesellschaftliche und politische Ausgangslage im Rahmen der sozialökologischen Transformation in den letzten fünf Jahren radikal verändert: Es sind neue Akteure auf die politischen Bühne getreten, neue Verfahren der Governance deuten sich an (vgl. Grunwald/Roß/Sagmeister 2024 i.E.), Politikinhalte werden neu definiert und gedeutet: Genau dies lässt sich an der sozial-ökologischen Transformation exemplarisch hervorragend zeigen.

Neue Bewegungen fordern die Sozialwirtschaft im Allgemeinen und die Wohlfahrtsverbände im Besonderen heraus

Erstens sind in den letzten fünf Jahren neue soziale Bewegungen wirkmächtig aufgetreten, die Anwaltschaftlichkeit und Interessenswahrnehmung neu definieren. Allen voran ist die Bewegung ‚Fridays for Futureʼ zu nennen. Kaum jemand hätte vermutet, dass aus einer einsamen Protestaktion einer Schülerin eine zuvor nicht gekannte Bewegung für öffentlichkeitswirksame Forderungen nach sozioökologischem Wandel entsteht. Der Nobelpreisträger Klaus Hasselmann bringt die Leistung von Fridays for Future auf den Punkt: „Wir als Wissenschaftler haben es nicht geschafft, die Öffentlichkeit so auf das Problem hinzuweisen, wie es Fridays for Future gelungen ist.“. Eine kritische Analyse muss hier in Bezug auf Hauptakteure der Sozialwirtschaft anmerken, dass nicht die Wohlfahrtsverbände, von denen mindestens zwei die Bewahrung der Schöpfung von jeher als leitenden Wert propagieren, Vorreiter der Bewegung sind, dass zudem wohlfahrtsverbandliche Einrichtungen diese Werte nicht aktiv genug einbringen und überdies den Interessen der jungen Generation zu wenig Raum anbieten, um gerade junge Menschen anwaltschaftlich zu unterstützen oder ihnen einen Raum zu geben, um sich in die gesellschaftspolitische Diskussion einzubringen. Hier liegt die erste Herausforderung für die Sozialwirtschaft, die neue Rolle ihrer Anwaltschaft gegenüber einer neuen Gruppe der ‚Exkludierten‘ zu definieren, der jungen Generation bei der Vertretung ihrer ökologischen Anliegen.

Neue Akteure gewinnen politischen Einfluss

Zweitens haben sich neue Akteure der politischen Partizipation in Gesetzgebungsverfahren entwickelt, die das Anliegen der ökologischen Transformation in alternative politische Prozesse einbringen. Beispielhaft sei hier der außerparlamentarische Versuch von GermanZERO genannt, die einen Gesetzentwurf für übergreifende Umweltpolitik entwickelt haben und versuchen, ihn in ein Gesetzgebungsverfahren weiterzuführen. Für das Ziel, Deutschland bis 2035 klimaneutral zu machen, haben sich über 1000 Ehrenamtliche in einer Klimaschutzorganisation zusammengefunden, um mit drei Säulen zum klimaneutralen Deutschland beizutragen: einem Gesetzespaket, Gesprächen mit der Politik und lokalen Klimaaktivitäten (vor allem Klimaentscheiden). Sieht man diesen Gesetzesentwurf durch, vermisst man schmerzlich eine Ausbuchstabierung der Ansätze in die Sozialpolitik, vor allem in die Sozialgesetzbücher. Hier liegt die zweite Herausforderung an die Sozialwirtschaft, ihre Rolle in der sozialökologischen Governance-Formationen zu definieren.

Partizipative Gestaltung der Politik

Drittens entstehen durch die Bestrebungen, eine ökologische Transformation zu gestalten, neue Beteiligungsformen kommunaler Politik. Im kommunalen Raum wird verstärkt versucht, durch Bürgerräte und partizipative Beteiligungsverfahren die demokratische Legitimität von sozialen und umweltschutzbezogenen Forderungen zu stärken. Es geht darum, dass die Sozial- und Klimapolitik ihre gesellschaftliche Akzeptanz(-fähigkeit) erhöhen muss, um die neuen Verteilungseffekte von Klimapolitik transparent zu machen. Diese Initiativen müssen die gestalterische Wirkung der Partizipation zwar noch eindeutig nachweisen. Aus der sozialwirtschaftlichen Perspektive erwächst die Herausforderung des Engagements (wohlfahrts)verbandlicher Organisationen als Schnittstellen in diesem Kontext und wie die Träger der Sozialwirtschaft bei dem Thema der sozialökologischen Transformation tatsächlich noch ihr partizipatives Potential entfalten (können).

Fazit: Aspekte einer Weiterentwicklung der Sozialwirtschaft

An der sozialökologischen Transformation als gesamtgesellschaftliche Aufgabe lassen sich also drei zentrale Herausforderungen für die Sozialwirtschaft im Allgemeinen und die Wohlfahrtsverbände im Besonderen entfalten, die weit über die Sanierung von Sozialimmobilien hinausgehen. Zu nennen sind hier erstens die Herausforderung Anwaltschaft und Interessensvertretung wahrzunehmen, zweitens die Herausforderung Politikprozesse neu zu denken und ökologische mit sozialen Themen untrennbar zu verbinden und drittens die Herausforderung Beteiligung zu ermöglichen und zu fördern.
Traditionellerweise waren Akteure der Sozialwirtschaft wichtige Sammelorte, um innovatives und bedarfsgerechtes Engagement zu bündeln und zivilgesellschaftlichen Kräften Richtung und Raum zu bieten. Insofern ist es für die Sozialwirtschaft wichtig, diese Themen weiterzuentwickeln und in der Gestaltung Soziales und Ökologie konsequent zusammen zu binden.

 

Prof. Dr. Klaus Grunwald ist Studiengangleiter für die Studienrichtung „Soziale Arbeit in Pflege und Rehabilitation“ an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem in Fragen der Sozialökonomie / Sozialwirtschaft sowie im Sozialmanagement als Leitung und Steuerung sozialwirtschaftlicher Unternehmen.

Prof. Dr. Andreas Langer ist Professor für Sozialwissenschaften im Department Soziale Arbeit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem in den Bereichen Sozialpolitik, Sozialmanagement und sozialer Ökonomie, soziale Innovation und Dienstleistungsforschung, Gesellschaftliche Transformation und Akzeptanzforschung der Energiewende, Professionsforschung.

Prof. Dr. Monika Sagmeister ist Professorin für Sozialökonomie an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart und hat dort die wissenschaftliche Leitung „Master Governance Sozialer Arbeit“ inne. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Freien Wohlfahrtspflege, den Veränderungen in der Sozialwirtschaft sowie Netzwerkstrategien.

Gemeinsam geben sie das NomosHandbuch Sozialwirtschaft heraus.

Fußnoten

[1] Basierend auf einer Hochrechnung einer Stichprobe für den Deutschen Caritasverband (vgl. Halfar 2023: 685).

[1] Der Gebäudebereich ist mit rund 40 Prozent für die meisten CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich. Im Gebäudebestand dominieren bislang fossile Energieträger wie Gas und Öl die Wärmeerzeugung.

[1] Der Europäische Green Deal (EGD) ist nach eigener Angabe die politische Antwort der EU auf die Umweltzerstörung und den Klimawandel. Damit ist gemeint, bis 2050 das wirtschaftliche Wachstum von der Ressourcennutzung zu entkoppeln (vgl. Europäische Kommission 2019: 2) Darüber hinaus ist das Ziel „[…] die EU zu einer fairen und wohlhabenden Gesellschaft mit einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft [zu machen]“ (ebd.: 2).

[1] https://www.diakonie.de/informieren/infothek/2022/november/gesundheits-und-sozialwirtschaft-ein-schlafender-riese-beim-klimaschutz (7.2.2024)

[1] Hamburger Abendblatt 6.10.2021, siehe auch https://www.berliner-zeitung.de/gesundheit-oekologie/deutscher-nobelpreistraeger-hoert-auf-fridays-for-future-li.199184

[1] https://germanzero.de/ (7.2.2024)

 

Literaturverzeichnis

Boeßenecker, K.-H./Sagmeister, M. (2024): Spitzenverbände der Wohlfahrtspflege im Transformationsprozess zu sozialwirtschaftlichen Organisationen, in: Grunwald, K./Langer, A./Sagmeister, M. (Hrsg.): Sozialwirtschaft. Handbuch für Wissenschaft, Studium und Praxis, Baden-Baden: Nomos, 2., aktualisierte und erweiterte Auflage, S. 305-317

Brüsseler Kreis 2023: Nachhaltigkeit als Insolvenzfalle für die Sozialwirtschaft. In: https://www.bruesseler- kreis.de/files/bilder/aktuell/Paper_Nachhaltigkeit_als_Insolvenzfalle_fuer_die_Sozialwirtschaft. pdf

Europäische Kommission (2019): Mitteilung der Kommission an das europäische Parlament, den europäischen Rat, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Der europäische Grüne Deal. Brüssel: Europäische Kommission

Grunwald, K./Langer, A./Sagmeister, M. (Hrsg.) (2024a): Sozialwirtschaft. Handbuch für Wissenschaft, Studium und Praxis, Baden-Baden: Nomos, 2., aktualisierte und erweiterte Auflage

Grunwald, K./Langer, A./Sagmeister, M. (2024b): Sozialwirtschaft – eine Einführung in das Handbuch, in: Grunwald, K./Langer, A./Sagmeister, M. (Hrsg.): Sozialwirtschaft. Handbuch für Wissenschaft, Studium und Praxis, Baden-Baden: Nomos, 2., aktualisierte und erweiterte Auflage, S. 23-44

Grunwald, K./Roß, P.-St./Sagmeister, M. (2024): Governance Sozialer Arbeit. Eine theoriebasierte Handlungsorientierung für die Sozialwirtschaft, Wiesbaden: Springer VS

Halfar B. (2024): Immobilienmanagement sozialwirtschaftlicher Unternehmen. in: Grunwald, K./Langer, A./Sagmeister, M. (Hrsg.): Sozialwirtschaft. Handbuch für Wissenschaft, Studium und Praxis, Baden-Baden: Nomos, 2., aktualisierte und erweiterte Auflage, S. 685-696.

Michel, L. (2022): Sozialimmobilie [online]. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 27.04.2022 [Zugriff am: 01.02.2024]. Verfügbar unter: https://www.socialnet.de/lexikon/8040