Interview mit Professor Dr. Portnov

25.04.2025

Die erste ausführliche Einführung in die Ukraine-Studien in deutscher Sprache

Interview mit Professor Dr. Portnov zu seinem neuen Buch "Ukraine-Studien"

Interview mit Professor Dr. Portnov zu seinem neuen Buch „Ukraine-Studien“

Die Ukraine: ein Land, das seit 2022 zu einem internationalen Gesprächsthema geworden ist und private wie öffentliche Diskussionen auslöst. Professor Dr. Andrii Portnov möchte Menschen nachhaltig für das Land begeistern – nicht nur aufgrund eines gegenwärtigen Konflikts – und bietet neue Perspektiven, die sowohl für Studierende als auch für Journalist:innen und Politiker:innen interessant ist. Im folgenden Interview gibt der Autor Einblicke in seine Arbeit:

Ihr Werk ist die erste umfassende Einführung in die Ukraine-Studien in deutscher Sprache. Warum war es Ihnen wichtig, dieses Buch für das deutschsprachige Publikum zu schreiben?

„Wohl wissend um die Aktualität des Geschehens – die Tatsache eines schrecklichen Krieges mitten in Europa und das Phänomen des ukrainischen Widerstandes gegen den Aggressor – war mir beim Schreiben des Buches etwas anderes wichtiger. Nämlich die Chance für ein intellektuelles Umdenken nicht nur der Ukraine, sondern ganz Osteuropas und auch Deutschlands. Ich würde mir freuen, wenn das Interesse an der Ukraine und der Region nicht nur tagesaktuell, sondern systemisch und nachhaltig wäre. Ich würde mir wünschen, dass es darum geht, eine neue analytische Sprache für unseren Kontinent und die Welt zu finden. Und auch um eine breitere, ungewohnte Sicht auf die Ukraine. Deshalb schreibe ich zum Beispiel über den ukrainischen Kybernetiker Viktor Gluschkow aus den 1970er Jahren, einen der Pioniere der künstlichen Intelligenz. Oder über das größte jüdische Gemeindezentrum Europas in meiner Heimatstadt Dnipro.“

Ihr Werk basiert sowohl auf einer Synthese internationaler Forschung als auch auf Ihren eigenen Erfahrungen als Wissenschaftler in ganz Europa. Inwiefern haben Ihre persönlichen Forschungserfahrungen und Lehrtätigkeiten Ihre Perspektive auf die Ukraine-Studien geprägt?

„So kam es, dass ich seit 2012 in Deutschland verschiedene Kurse zu osteuropäischen Kulturen und Geschichte unterrichte. Und natürlich spiegelt sich diese Universitätserfahrung in den Seiten des Buches wider. Ich bin all meinen Studierenden sehr dankbar – ich glaube, ich habe viel mehr von ihnen gelernt als ich ihnen beigebracht habe. Bei der Suche nach einem Zugang zu meinen Themen habe ich immer bemüht, über die so genannte Logik der „ukrainischen Stimme“ hinauszugehen. Oder, wenn Sie so wollen, die Logik der „Geschichten für den Hausgebrauch“. Mich interessieren ukrainische, aber auch belarussische oder polnische Themen vor allem in einem transnationalen Kontext. Voraussetzung für eine solche Perspektive ist jedoch eine gute Kenntnis des lokalen Materials, der Sprachen und der kulturellen Traditionen. Auch die Fähigkeit zum Vergleich und zur Kontextualisierung ist eine besonders wichtige Herausforderung für jeder Kulturwissenschaftler.“

Gibt es ein Kapitel oder einen Aspekt Ihres Buches, den Sie hervorheben würden, weil er für das Verständnis der Ukraine heute besonders wichtig ist?

„Gerade heute scheint mir der vielleicht wichtigste Aspekt der ukrainischen Geschichte, aber auch des aktuellen ukrainischen Resilienz, das Phänomen der inneren Vielfalt zu sein: kulturell, sprachlich, regional, politisch. Die Vielfalt ist keine Spaltung, sondern eine der Quellen der Stärke des ukrainischen Projekts einer politischen Nation. Und historisch gesehen ist die Ukraine das Land, in dem sich das östliche und das westliche Christentum begegneten, in dem sich sowohl der Islam als auch das Judentum zu Hause fühlen. Natürlich waren die Beziehungen zwischen den verschiedenen Kulturen auf dem Gebiet der Ukraine auch konfliktenreich. Aber diese Geschichte lässt sich nicht auf die Metapher der „bloodlands“ reduzieren. Vielleicht sind deshalb die Kapitel des Buches über die kulturelle Beziehungen – ukrainisch-polnisch, ukrainisch-russisch, ukrainisch-deutsch – sowie über die Beziehungen zum Osmanischen Reich und zum Krimkhanat für mich am bedeutendsten.“

Der Band betrachtet die Geschichte und Gegenwart der Ukraine, wie Professor Dr. Portnov in seinen Antworten bereits deutlich gemacht hat, aus einer vergleichenden und interdependenten Perspektive. Er behandelt einführend und anschaulich die Geschichte und Politik der Ukraine unter Berücksichtigung der Literaturen, Medien, Sprachen und konfessionellen Fragen.

Ich würde mir wünschen, dass es darum geht, eine neue analytische Sprache für unseren Kontinent und die Welt zu finden. Und auch um eine breitere, ungewohnte Sicht auf die Ukraine. Deshalb schreibe ich zum Beispiel über den ukrainischen Kybernetiker Viktor Gluschkow aus den 1970er Jahren, einen der Pioniere der künstlichen Intelligenz.

Prof. Dr. Andrii Portnov , Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder, Professor für Verwickelte Geschichte der Ukraine