Gespräch mit Dr. Hagemann über sein neues Buch „Das politische System Israels“
Dr. Steffen Hagemann beantwortet im folgenden Interview drei Fragen zu seinem neu erschienenen Buch „Das politische System Israels“. Das Werk behandelt eines der Kernthemen unserer Zeit: Sowohl in den weltweiten Nachrichtensendern als auch in privaten Gesprächen diskutieren Menschen über Israel und den Nahostkonflikt. In seinem Buch gibt Dr. Hagemann Einblicke in die politischen Hintergründe:
Ihr Buch analysiert die gegenwärtige doppelte Krise Israels – die innenpolitische Bedrohung der Demokratie und die sicherheitspolitischen Herausforderungen nach dem 7. Oktober 2023. Gibt es ein besonders deutliches Beispiel dafür, wie sich diese beiden Krisen gegenseitig beeinflussen?
„Die israelische Regierung unter Benjamin Netanjahu ist im Dezember 2022 angetreten, um den israelischen Staat in Richtung einer illiberalen, majoritären Demokratie umzubauen. Die antiliberalen Ambitionen der Koalitionen zielen auf eine Schwächung der Grundrechte, des Systems der Check and Balances und der Kontrolle des Parlaments durch eine unabhängige Gerichtsbarkeit. Zugleich dienen diese innenpolitischen Reformen auch dazu, die Annexion von zumindest Teilen der besetzten Gebiete durchzusetzen. Nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 sieht sich die Regierung in ihrer Zielsetzung, den Konflikt mit den Palästinensern zu entscheiden und die Gründung eines palästinensischen Staates zu verhindern, bestärkt. Zugleich setzt sie den Staatsumbau fort und nutzt die sicherheitspolitische Krise, um Bürgerrechte einzuschränken und Protest zu kriminalisieren.“
Das Spannungsverhältnis zwischen Israels jüdischer Identität und seinem demokratischen Anspruch ist seit der Staatsgründung ein zentrales Thema. Wie hat sich dieses Verhältnis in den letzten Jahren entwickelt?
„Das Spannungsverhältnis zwischen den Staatsprinzipien ist Gegenstand politischer Auseinandersetzungen seit der Gründung des Staates. Die Konflikte haben in den letzten Jahren allerdings zugenommen, da konkordanzdemokratische Arrangements an ihre Grenze gekommen sind. Einerseits hat die Betonung der jüdischen Identität des Staates in der israelischen Politik zugenommen. Dies zeigt sich beispielsweise in der Verabschiedung des Nationalstaatsgesetzes im Jahr 2018, das Israel als Nationalstaat des jüdischen Volkes definiert und die jüdische Identität des Landes gegenüber demokratischen Prinzipien betont. Dies hat bei vielen Bürger*innen, insbesondere bei der arabisch-palästinensischen Minderheit, Besorgnis ausgelöst. Andererseits gibt es in der israelischen Gesellschaft auch eine starke und wachsende Bewegung, die sich für die Stärkung der demokratischen Werte und die Gleichheit aller Bürger einsetzt.“
Ihr Buch nimmt auch die Rolle der Sicherheitsdienste und des Militärs in den Blick. Welche Folgen hat die anhaltende Besatzung für Israels politische Institutionen?
„Die israelische Besatzung dauert seit 1967 und damit inzwischen 57 Jahre an. Sie ermöglicht schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Palästinenser*innen, die unter israelischer Militärherrschaft leben. Die lange Dauer der Besatzung, der Siedlungsbau und die de-facto-Annexion von Teilen der besetzten Gebiete haben die Frage nach den territorialen Grenzen und damit der demokratischen Qualität Israels neu aufgeworfen. Zugleich hat die Besatzung weitreichende Folgen auch auf das israelische Institutionengefüge durch eine starke Dominanz von Sicherheitsorganen, die Schwächung demokratischer Werte und rechtsstaatlicher Prinzipien sowie eine Radikalisierung der israelischen Politik.“
Israel befindet sich im Wandel und in einer doppelten Krise. Im Inneren werden die demokratischen Institutionen durch den Aufstieg eines illiberalen Populismus bedroht; sicherheitspolitisch haben die Anschläge des 7. Oktober 2023 ein Gefühl der existentiellen Unsicherheit ausgelöst. Das Lehrbuch analysiert erstmals umfassend das politische System Israels und die historische Genese der aktuellen Krisenprozesse.