Ein interdisziplinäres Handbuch zur ganzheitlichen Auseinandersetzung mit Überschuldung
Im Interview mit den Herausgeber:innen des Handbuchs Überschuldungsforschung geben Prof. Dr. Marion Müller, Prof. Dr. Patricia Pfeil, und Dr. Christoph Mattes (von links nach rechts im Bild) Einblicke in ihre Beweggründe, ein interdisziplinäres Werk zu einem komplexen und drängenden Thema zu veröffentlichen. Sie erläutern, wie verschiedene wissenschaftliche Disziplinen von der Soziologie bis hin zur Betriebswirtschaft in diesem Handbuch zusammengeführt wurden, um die Lebensrealitäten von Menschen in Überschuldung zu verstehen und neue Lösungsansätze zu finden.
Die Herausgeber:innen betonen, dass dieses Werk nicht nur für Wissenschaftler:innen, sondern auch für Praktiker:innen und Studierende ein wichtiges Nachschlagewerk ist.
Das Handbuch Überschuldungsforschung bündelt erstmals umfassend das Wissen zum Thema Überschuldung im deutschsprachigen Raum. Was war Ihre Motivation, dieses interdisziplinäre Werk zusammenzustellen, und welche Lücken in der bisherigen Forschung möchten Sie damit schließen?
„Der Forschungsstand zum Thema Verschuldung und Überschuldung ist bislang wenig systematisch aufbereitet. Dies liegt einerseits daran, dass es kein einheitliches Verständnis zu Überschuldung gibt. Andererseits ist das Erkenntnisinteresse von Forschungsvorhaben sehr stark disziplinär bestimmt, das heißt die Perspektiven, die sich auf Überschuldung richten, sind rechtlich, wirtschaftlich, soziologisch usw. geprägt und werden wechselseitig nur bedingt wahrgenommen. Die unterschiedlichen Disziplinen mit deren eigenen Erkenntnisinteressen und Forschungserfahrungen zusammen zu bringen, war der Beweggrund für dieses Werk. Gleichermaßen soll es ein Nachschlagewerk für alle sein, die sich wissenschaftlich oder praktisch mit Überschuldung beschäftigen.“
Das Buch beleuchtet nicht nur die rechtlichen Rahmenbedingungen der Überschuldung in verschiedenen nationalen Kontexten, sondern widmet sich auch den Lebensrealitäten der Betroffenen. Welche methodischen Zugänge und empirischen Erkenntnisse haben Sie als besonders entscheidend für den Diskurs um Überschuldung erachtet?
„Wir sind stolz darauf ein Handbuch zu Überschuldung geschaffen zu haben, in dem neben rechtlichen Aspekten auch sozialwissenschaftliche, sozialarbeitswissenschaftliche, geisteswissenschaftliche, medizinische oder auch ethnografische Zugänge angemessen berücksichtigt werden. Selbst die Betriebswirtschaft konnten wir im Handbuch zu Wort kommen lassen. Grundsätzlich finden wir, unabhängig von der disziplinären Verortung der Forschenden, es sehr wichtig, die Lebensrealität der Betroffenen zum Gegenstand zu haben. Wir müssen darauf achten, jenseits des normativen Ideals der Schuldenfreiheit lebenslagenspezifische und kulturelle Besonderheiten von Überschuldung zu beleuchten. Und so ist es uns gelungen, Beiträge zu einem Handbuch zusammenzuführen, mit denen die Leser:innen am Ende mehr über Ver- und Überschuldung erfahren können als in den bisherigen Publikationen der Verschuldungsforschung.“
An wen richtet sich das Handbuch primär? Welche Rolle könnte es in der Beratungspraxis oder in der Ausbildung von Fachkräften im Bereich der Sozialen Arbeit und Sozialwirtschaft spielen?
„Das Handbuch Überschuldungsforschung soll alle interessierten Leser:innen für die unterschiedlichen Ansatzpunkte, Widersprüchlichkeiten und Besonderheiten von Ver- und Überschuldung begeistern. Das Thema an sich ist schwer und belastend genug. Wir wollen aber unser Zielpublikum dafür begeistern, sich von der Ohnmacht der Überschuldung nicht abschrecken zu lassen. Ganz im Gegenteil. Von Überschuldung betroffene Menschen brauchen in der Beratung Menschen mit Mut, Kreativität und Optimismus, die in solchen ausweglosen Situationen angemessene Hilfen anbieten oder diese mit den Ratsuchenden erarbeiten. Dies zu unterstützen und gerade junge Menschen, die Soziale Arbeit oder Sozialwirtschaft studieren oder sich zum Thema Verschuldung weiterbilden für die Fallarbeit zu begeistern, ist eine Vision dieses Handbuches. Den Expert:innen aus Praxis und Wissenschaft wollen wir ermöglichen, die Vielfalt an Zugängen und Wissen aus den verschiedenen Disziplinen zu nutzen und als Anregung für weitere Forschungen zu nutzen.“