Die neue EU-Entwaldungsverordnung (EU) 2023/1115

11.07.2023

Die neue EU-Entwaldungsverordnung (EU) 2023/1115 – Product Compliance für die Lieferkette

Dr. Arun Kapoor für den Praxis-Newsletter Product Compliance

Beitrag von Dr. Arun Kapoor

Am 29.6.2023 ist die neue europäische Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten in Kraft getreten, nachdem sie am 9.6.2023 im EU-Amtsblatt veröffentlicht wurde. Die Rechtsvorschrift stellt die betroffenen Marktteilnehmer vor die Herausforderung, bis zum 30.12.2024 ihre Product Compliance-Systeme so auszurichten, dass sie die Entwaldungsfreiheit ihrer Produkte durch die gesamte Lieferkette hinweg in dokumentierter Form sicherstellen können. Ab Anfang 2025 dürfen bestimmte Produkte (sog. Relevante Erzeugnisse) in Europa nur noch dann legal vertrieben oder aus der EU ausgeführt werden, wenn sie entwaldungsfrei hergestellt wurden und wenn dabei die Gesetze des Erzeugerlandes eingehalten wurden.

I. Relevante Produkte

Betroffen sind alle Produkte und Produktgruppen, die in Anhang I der Verordnung aufgelistet sind, wenn diese relevante Rohstoffe enthalten oder unter Verwendung dieser Rohstoffe hergestellt oder mit diesen Rohstoffen gefüttert wurden. Bei den relevanten Rohstoffen handelt es sich um Rind, Kakao, Kaffee, Ölpalme, Kautschuk, Soja und Holz.

II. Betroffene Unternehmen

Betroffen sind alle Unternehmen, die relevante Produkte innerhalb der EU in den Verkehr bringen, bereitstellen oder aus der EU ausführen. Sie gelten einheitlich als „Marktteilnehmer“, für die das volle Pflichtenprogramm der Verordnung gilt. Lediglich für kleine und mittelgroße Händler im Sinne der Richtlinie 2013/34/EU (sog. KMU-Händler) sieht die Verordnung gewisse Erleichterungen vor.

III. Wesentliche Pflichten der betroffenen Unternehmen?

Die betroffenen Erzeugnisse müssen entwaldungsfrei sein. Das bedeutet u.a., dass es auf den Erzeugungsflächen nicht zur Umwandlung von Wäldern in landwirtschaftlich genutzte Flächen kam. Außerdem müssen die einschlägigen Gesetze des Erzeugerlandes eingehalten worden sein. Dies umfasst keineswegs nur Gesetze zum Wald- und Naturschutz, sondern insbesondere auch Arbeitnehmerrechte, Menschenrechte, Rechte von indigenen Völkern und lokale Anti-Korruptions-Gesetze.

Um die Einhaltung dieser Anforderungen sicherzustellen, fordert die EU-Entwaldungsverordnung von allen Marktteilnehmern in der Lieferkette eine umfassende Dokumentation der einschlägigen Informationen, die die Compliance mit den Vorgaben der Verordnung belegen (z.B. Geolokalisierungsdaten der Erzeugerbetriebe), die Durchführung einer Risikobewertung für jedes betroffene Erzeugnis sowie die elektronische Übermittlung einer Sorgfaltserklärung an die zuständigen Behörden.

Die Marktteilnehmer müssen also proaktiv feststellen und dokumentieren, dass das Risiko eines Verstoßes gegen die EU-Entwaldungsverordnung nicht besteht oder allenfalls vernachlässigbar ist. Hierfür müssen sie regelmäßig Informationen über das Produkt, das Erzeugerland, die konkreten Erzeugungsflächen und die gesamte Lieferkette sammeln und bereithalten. Der hierfür erforderliche Arbeitsaufwand wird maßgeblich durch das Länder-Benchmarking-System der Europäische Kommission beeinflusst werden. Die Europäische Kommission stuft bis zum 30.12.2024 Länder in bestimmte Risikokategorien ein. Je nach Risikostufe gelten strengere Anforderungen an die von den Marktteilnehmern je Erzeugnis durchzuführende Risikobewertung.

IV. Konsequenzen bei Verstößen

Unternehmen müssen sich bei Verstößen gegen die Verordnung auf saftige Bußgelder in Höhe von bis zu 4% des erwirtschafteten Jahresumsatzes einstellen. Außerdem können die zuständigen nationalen Überwachungsbehörden nicht nur den Vertrieb nicht-konformer relevanter Erzeugnisse untersagen, sondern auch der Rücknahme vom Markt sowie den Rückruf dieser Erzeugnisse von den Endkunden erzwingen. Gerade Letztes bringt nicht unerhebliche Haftungsrisiken auch für Zulieferer mit sich, etwa wenn Erzeugnisse aufgrund fehlender Konformität mit den Vorgaben der EU-Entwaldungsverordnung aus anderen Produkten nachträglich ausgebaut werden müssen.


Dr. Arun Kapoor ist Rechtsanwalt und Partner sowie Co-Leiter des Bereiches Produkthaftung & Product Compliance bei der Kanzlei Noerr. Er ist darüber hinaus Mitglied des Herausgeberbeirats der ZfPC und Autor im Formularbuch Product Compliance, das im kommenden Jahr im Nomos Verlag erscheinen wird.